Präsentieren
Aus A-Z der transziplinären Forschung
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Szenische Forschung an der Präsentation''' | Szenische Forschung an der Präsentation''' | ||
Während Forschung und Darstellung im Sinne der Präsentation in der wissenschaftlichen Praxis im allgemeinen als getrennte Register gelten – erst die Forschung dann die Präsentation – steht in der künstlerischen Praxis außer Frage, dass die Arbeit an der Darstellung ein Forschungsprozess, ja, mehr noch: wesentlicher Teil der künstlerischen Forschung ist. Zeitgenössische szenische beziehungsweise performative Kunst geht dabei von der umfassenden Signifikanz all dessen aus, was auf der Szene erscheint. Kein Aspekt szenischer Performanz bleibt von vornherein von Betrachtung und Gestaltung ausgeklammert. Begreift man Präsentationen als Performances von Sagen, Zeigen und ihrer Kombination, umfasst die szenische Aufmerksamkeit idealiter alle möglichen Kombinationen von Sagen und Zeigen im Sinne eines Variationsspektrum. In der transdisziplinären Zusammenarbeit von Kunst und Wissenschaft gilt es daher, den weiten Blick und die entsprechende Gestaltungspalette der szenischen Aufmerksamkeit auf die Voreinstellungen zu beziehen, die Wissenspräsentationen heute prägen. Mit anderen Worten: Um forschungsrelevant zu sein, sollte szenische Variation möglichst präzise und differenziert bei den performativen Faktoren ansetzen, die Wissenspräsentationen außerhalb des Kunstkontexts jeweils ausmachen. Im Folgenden soll dies exemplarisch anhand eines dieser Faktoren – dem der Ansprache ¬– dargestellt werden. | Während Forschung und Darstellung im Sinne der Präsentation in der wissenschaftlichen Praxis im allgemeinen als getrennte Register gelten – erst die Forschung dann die Präsentation – steht in der künstlerischen Praxis außer Frage, dass die Arbeit an der Darstellung ein Forschungsprozess, ja, mehr noch: wesentlicher Teil der künstlerischen Forschung ist. Zeitgenössische szenische beziehungsweise performative Kunst geht dabei von der umfassenden Signifikanz all dessen aus, was auf der Szene erscheint. Kein Aspekt szenischer Performanz bleibt von vornherein von Betrachtung und Gestaltung ausgeklammert. Begreift man Präsentationen als Performances von Sagen, Zeigen und ihrer Kombination, umfasst die szenische Aufmerksamkeit idealiter alle möglichen Kombinationen von Sagen und Zeigen im Sinne eines Variationsspektrum. In der transdisziplinären Zusammenarbeit von Kunst und Wissenschaft gilt es daher, den weiten Blick und die entsprechende Gestaltungspalette der szenischen Aufmerksamkeit auf die Voreinstellungen zu beziehen, die Wissenspräsentationen heute prägen. Mit anderen Worten: Um forschungsrelevant zu sein, sollte szenische Variation möglichst präzise und differenziert bei den performativen Faktoren ansetzen, die Wissenspräsentationen außerhalb des Kunstkontexts jeweils ausmachen. Im Folgenden soll dies exemplarisch anhand eines dieser Faktoren – dem der Ansprache ¬– dargestellt werden. | ||
− | Wissenspräsentationen richten sich an eine Öffentlichkeit – selten jedoch an eine vermeintlich allgemeine, viel häufiger an ganz bestimmte Öffentlichkeiten, an Fachöffentlichkeiten, an beruflich orientierte Öffentlichkeiten, an Öffentlichkeiten, die sich in einem bestimmten gesellschaftlichen Bereich engagieren, an diverse Bildungsöffentlichkeiten etc. . „Sich Richten An“ ist dabei ein komplexer Vorgang, in dem sowohl das Wissen als auch die entsprechende Öffentlichkeit als solche neu formatiert und partiell erst konstitutiert wird. Wissen und Öffentlichkeit bedingen einander. Im Sich Richten an eine bestimmte Öffentlichkeit wird das Wissen selbst als ein Bestimmtes erst bestimmbar. Zugleich ist das Adressieren des Wissens aber auch immer ein teilweise imaginärer Vorgang, der die zu adressierende Öffentlichkeit niemals einfach vorfindet, sondern immer auch vorstellt. Im Moment der Adressierung ist die „bestimmte Öffentlichkeit“ immer auch Fiktion. Die Art der Adressierung prägt das Wissen dabei nicht nur im Sinne beispielsweise der Wortwahl oder der ausgewählten Illustrationen, also im Hinblick auf das, was gesagt wird, und das, was gezeigt wird. Viel grundlegender wirkt sie sich auf das Verhältnis zwischen Gesagtem und Ungesagtem, Gezeigtem und Ungezeigten aus, denn mit der Vorstellung einer bestimmten Öffentlichkeit gehen immer auch Annahmen einher, was bekannt ist und was nicht, was Pointe, was Selbstverständlichkeit ist. In der Ansprache verbinden sich Wissen und Öffentlichkeit daher notwendig zu einer bestimmten Figuration von Evidenz. Auch die Geschichte des Wissens zeigt, das die Entstehung neuer Wissensformen immer mit der Entstehung neuer Öffentlichkeiten verbunden war. | + | Wissenspräsentationen richten sich an eine Öffentlichkeit – selten jedoch an eine vermeintlich allgemeine, viel häufiger an ganz bestimmte Öffentlichkeiten, an Fachöffentlichkeiten, an beruflich orientierte Öffentlichkeiten, an Öffentlichkeiten, die sich in einem bestimmten gesellschaftlichen Bereich engagieren, an diverse Bildungsöffentlichkeiten etc. . „Sich Richten An“ ist dabei ein komplexer Vorgang, in dem sowohl das Wissen als auch die entsprechende Öffentlichkeit als solche neu formatiert und partiell erst konstitutiert wird. Wissen und Öffentlichkeit bedingen einander. Im Sich Richten an eine bestimmte Öffentlichkeit wird das Wissen selbst als ein Bestimmtes erst bestimmbar (7). Zugleich ist das Adressieren des Wissens aber auch immer ein teilweise imaginärer Vorgang, der die zu adressierende Öffentlichkeit niemals einfach vorfindet, sondern immer auch vorstellt (8). Im Moment der Adressierung ist die „bestimmte Öffentlichkeit“ immer auch Fiktion. Die Art der Adressierung prägt das Wissen dabei nicht nur im Sinne beispielsweise der Wortwahl oder der ausgewählten Illustrationen, also im Hinblick auf das, was gesagt wird, und das, was gezeigt wird. Viel grundlegender wirkt sie sich auf das Verhältnis zwischen Gesagtem und Ungesagtem, Gezeigtem und Ungezeigten aus, denn mit der Vorstellung einer bestimmten Öffentlichkeit gehen immer auch Annahmen einher, was bekannt ist und was nicht, was Pointe, was Selbstverständlichkeit ist. In der Ansprache verbinden sich Wissen und Öffentlichkeit daher notwendig zu einer bestimmten Figuration von Evidenz. Auch die Geschichte des Wissens zeigt, das die Entstehung neuer Wissensformen immer mit der Entstehung neuer Öffentlichkeiten verbunden war. |
Eine Präsentation als Ansprache zu beobachten und experimentell zu betreiben, heißt dieses Verhältnis zwischen Gesagtem und Ungesagtem, Gezeigtem und Ungezeigtem als solches zur Erscheinung zu bringen und genau an dieser Grenze neues Wissen zu gewinnen, beispielsweise indem Selbstverständlichkeiten in Pointen verwandelt werden und umgekehrt. | Eine Präsentation als Ansprache zu beobachten und experimentell zu betreiben, heißt dieses Verhältnis zwischen Gesagtem und Ungesagtem, Gezeigtem und Ungezeigtem als solches zur Erscheinung zu bringen und genau an dieser Grenze neues Wissen zu gewinnen, beispielsweise indem Selbstverständlichkeiten in Pointen verwandelt werden und umgekehrt. | ||
In der Praxis geschieht dies immer schon, wenn Forscher_innen gezielt unterschiedliche disziplinäre Kontexte aufsuchen, um ihre Thesen einmal an diesen, einmal an jenen Diskurszusammenhang zu richten. Das Feedback der jeweiligen Fachöffentlichkeit besteht dabei vor allem im Ereignis der Differenz zwischen der imaginierten zu adressierenden und der dann tatsächlich adressierten Öffentlichkeit. Es erschüttert Wissensfigurationen durch Grenzkonflikte zwischen Gesagtem und Ungesagtem, Gezeigtem und Vorausgesetztem. Präsentation als Forschung ist dies, sobald es wie im Eingangsbeispiel beschrieben, reflektiert, protokolliert und als Verfahren ernst genommen wird. | In der Praxis geschieht dies immer schon, wenn Forscher_innen gezielt unterschiedliche disziplinäre Kontexte aufsuchen, um ihre Thesen einmal an diesen, einmal an jenen Diskurszusammenhang zu richten. Das Feedback der jeweiligen Fachöffentlichkeit besteht dabei vor allem im Ereignis der Differenz zwischen der imaginierten zu adressierenden und der dann tatsächlich adressierten Öffentlichkeit. Es erschüttert Wissensfigurationen durch Grenzkonflikte zwischen Gesagtem und Ungesagtem, Gezeigtem und Vorausgesetztem. Präsentation als Forschung ist dies, sobald es wie im Eingangsbeispiel beschrieben, reflektiert, protokolliert und als Verfahren ernst genommen wird. | ||
− | Die Unterschiede gegenüber gängiger wissenschaftlicher Praxis werden größer, sobald man sich gezielt an andere Öffentlichkeiten wendet, an solche also, die bisher nicht Adressat oder Träger des jeweiligen Wissens waren. In so einer neuen Adressierung wird es möglich, auch gegebene Wissensfigurationen neu zu ordnen und zu wenden. Gezielt neue Öffentlichkeiten aufzusuchen, vergrößert auch den Spielraum des Imaginären im Prozess des Adressierens – zwischen Planung und Durchführung fällt das Ereignis der Differenz größer aus. Im Rahmen der szenischen Vortragsperformance kann man in dieser Richtung bis zur Adressierung unwahrscheinlicher, bislang nicht-existenter, also annähernd fiktiver Öffentlichkeiten voranschreiten. Hierzu bedarf es meist der Markierung eines besonderen Rahmens wie beispielsweise in den Clubversammlungen der Autonomen Astronauten oder beim Kongress der Schwarzfahrer. Wissenspräsentationen etablieren dann eine Öffentlichkeit auf Probe und können so auch ihre epistemischen Figuren am Inter-esse dieser Öffentlichkeit testen. | + | Die Unterschiede gegenüber gängiger wissenschaftlicher Praxis werden größer, sobald man sich gezielt an andere Öffentlichkeiten wendet, an solche also, die bisher nicht Adressat oder Träger des jeweiligen Wissens waren. In so einer neuen Adressierung wird es möglich, auch gegebene Wissensfigurationen neu zu ordnen und zu wenden. Gezielt neue Öffentlichkeiten aufzusuchen, vergrößert auch den Spielraum des Imaginären im Prozess des Adressierens – zwischen Planung und Durchführung fällt das Ereignis der Differenz größer aus. Im Rahmen der szenischen Vortragsperformance kann man in dieser Richtung bis zur Adressierung unwahrscheinlicher, bislang nicht-existenter, also annähernd fiktiver Öffentlichkeiten voranschreiten. Hierzu bedarf es meist der Markierung eines besonderen Rahmens wie beispielsweise in den Clubversammlungen der Autonomen Astronauten oder beim Kongress der Schwarzfahrer (9). Wissenspräsentationen etablieren dann eine Öffentlichkeit auf Probe und können so auch ihre epistemischen Figuren am Inter-esse dieser Öffentlichkeit testen. |
1 Foucault, Michel (1974): Die Ordnung des Diskurses. Inauguralvorlesung am Collège de France – 2. Dezember 1970. München. | 1 Foucault, Michel (1974): Die Ordnung des Diskurses. Inauguralvorlesung am Collège de France – 2. Dezember 1970. München. | ||
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5 Vgl. Felfe, Robert: „Schauplätze des Wissens“, http://edoc.hu-berlin.de/kunsttexte/download/bwt/felfe-schauplatz.PDF (7.4.2013) | 5 Vgl. Felfe, Robert: „Schauplätze des Wissens“, http://edoc.hu-berlin.de/kunsttexte/download/bwt/felfe-schauplatz.PDF (7.4.2013) | ||
6 Vgl. Kölner Kunstverein / Museum of Contemporary Art Belgrade (Hgg.) (2000): Lecture Performance. Köln, und Peters (a.a.O.) S. 179 ff. | 6 Vgl. Kölner Kunstverein / Museum of Contemporary Art Belgrade (Hgg.) (2000): Lecture Performance. Köln, und Peters (a.a.O.) S. 179 ff. | ||
+ | 7 Vgl. z.B. Golinski, Jan (1992): Science as Public Culture. Chemistry and Enlightenment in Britain 1760-1820. Cambridge; Goschler Constantin (Hg.) (2000) Wissenschaft und Öffentlichkeit in Berlin 1870-1930. Göttingen. | ||
+ | 8 Vgl. Warner, Michael (2002): Publics and Counterpublics. New York. | ||
+ | 9 Informationen zum Club der Autonomen Astronauten. http://www.fundus-theater.de/forschungstheater/projekte/club-der-autonomen-astronauten/. Zum Kongress der Schwarzfahrer vgl. Peters a. a. O., S. 187 ff. |