Bewegen
Zeile 19: | Zeile 19: | ||
== '''Bewegtes Publikum''' == | == '''Bewegtes Publikum''' == | ||
− | Der Blick auf Wortbedeutungen und Konnotationen macht deutlich, warum bewegen als künstlerisches Arbeits- und Forschungsverfahren doppelt interessant ist und Anknüpfungspunkte für transdisziplinäre Prozesse bietet, die Teilnehmende mit verschiedenen Erfahrungen und Kenntnissen in einen gemeinsamen Erkenntnisweg einzubinden vermag: Bewegen eröffnet die Möglichkeit, im gemeinsamen Zurücklegen eines (metaphorischen oder tatsächlichen) Weges unter Einfluss externer Faktoren und unter Aufwendung von Energie bzw. Einsatz aller Beteiligten durch eine räumliche bzw. innere Positionsveränderung eine neue Perspektive bzw. Erfahrung zu eröffnen. Dies wiederum ist schon immer ein zentrales Anliegen von Theater: Bedingt durch ihre kopräsente Aufführungssituation haben die performativen Künste große Erfahrung in der Herstellung von Situationen der Teilhabe | + | Der Blick auf Wortbedeutungen und Konnotationen macht deutlich, warum bewegen als künstlerisches Arbeits- und Forschungsverfahren doppelt interessant ist und Anknüpfungspunkte für transdisziplinäre Prozesse bietet, die Teilnehmende mit verschiedenen Erfahrungen und Kenntnissen in einen gemeinsamen Erkenntnisweg einzubinden vermag: ''Bewegen'' eröffnet die Möglichkeit, im gemeinsamen Zurücklegen eines (metaphorischen oder tatsächlichen) Weges unter Einfluss externer Faktoren und unter Aufwendung von Energie bzw. Einsatz aller Beteiligten durch eine räumliche bzw. innere Positionsveränderung eine neue Perspektive bzw. Erfahrung zu eröffnen. Dies wiederum ist schon immer ein zentrales Anliegen von Theater (z.B.: Primavesi 2008: 87). Bedingt durch ihre kopräsente Aufführungssituation haben die performativen Künste zudem große Erfahrung in der Herstellung von Situationen der Teilhabe. Mit Blick auf ''bewegen'' als künstlerischem Verfahren kann die Teilhabe an einer Aufführungssituation als gemeinsamer performativer Weg aller in der Situation Anwesenden verstanden werden, der sich als Wechselverhältnis von bewegen und bewegt werden darstellt. |
== '''Bewegungsmaterial''' == | == '''Bewegungsmaterial''' == | ||
− | Die Choreographie Wallen (Sebastian Matthias, 2012) geht von emotionalen Regungen als Grundlage tänzerischen, also bewegten Handelns, das mit und durch die Bewegung andere Körper affiziert. Die Zuschauenden sitzen auf Drehstühlen, die in inselartigen Gruppierungen über den Aufführungsraum verteilt sind. Die Drehstühle ermöglichen es, die eigene Perspektive permanent zu verändern und den Tänzern nicht nur mit den Blicken, sondern auch mit dem sich sitzend-drehenden eigenen Körper zu folgen. Damit sind die Zuschauenden in das Bewegungsgeflecht der Aufführung eingebunden. Ähnlich dem LKW in ''Cargo Sofia–X'' ist der Drehstuhl eine Art Transportmittel des Zuschauers. Das Bewegungsmaterial also, das durch seine spezifische Form und Nutzung die (Fort-)Bewegung ermöglicht, aber diese auch in der Art ihrer Bewegungsqualität formt und bedingt. Es ist gleichzeitig Auslöser und Verstärker der inneren sowie physischen Beteiligung der Zuschauenden. Das Bewegungsmaterial kann sowohl Objekt/Körper als auch Text, Thema oder Idee und damit Ausgangspunkt und Anlass von bewegen sein. Die Wahl und Definition des Bewegungsmaterials für den künstlerischen Prozess von bewegen eröffnet dabei eine Zugangsmöglichkeit, die motorische oder tanztechnische Erfahrung nicht als grundlegend für die Beteiligung setzt, sondern vielmehr durch einen niedrigschwelligen Ansatz als transdisziplinäres Verfahren Personen mit unterschiedlichen Erfahrungs- und Wissenshintergründen bereits in den künstlerischen Arbeitsprozess einzubeziehen vermag. | + | Die Choreographie ''Wallen'' (Sebastian Matthias, 2012) geht von emotionalen Regungen als Grundlage tänzerischen, also bewegten Handelns, das mit und durch die Bewegung andere Körper affiziert. Die Zuschauenden sitzen auf Drehstühlen, die in inselartigen Gruppierungen über den Aufführungsraum verteilt sind. Die Drehstühle ermöglichen es, die eigene Perspektive permanent zu verändern und den Tänzern nicht nur mit den Blicken, sondern auch mit dem sich sitzend-drehenden eigenen Körper zu folgen. Damit sind die Zuschauenden in das Bewegungsgeflecht der Aufführung eingebunden. Ähnlich dem LKW in ''Cargo Sofia–X'' ist der Drehstuhl eine Art Transportmittel des Zuschauers. Das Bewegungsmaterial also, das durch seine spezifische Form und Nutzung die (Fort-)Bewegung ermöglicht, aber diese auch in der Art ihrer Bewegungsqualität formt und bedingt. Es ist gleichzeitig Auslöser und Verstärker der inneren sowie physischen Beteiligung der Zuschauenden. Das Bewegungsmaterial kann sowohl Objekt/Körper als auch Text, Thema oder Idee und damit Ausgangspunkt und Anlass von bewegen sein. Die Wahl und Definition des Bewegungsmaterials für den künstlerischen Prozess von bewegen eröffnet dabei eine Zugangsmöglichkeit, die motorische oder tanztechnische Erfahrung nicht als grundlegend für die Beteiligung setzt, sondern vielmehr durch einen niedrigschwelligen Ansatz als transdisziplinäres Verfahren Personen mit unterschiedlichen Erfahrungs- und Wissenshintergründen bereits in den künstlerischen Arbeitsprozess einzubeziehen vermag. |
== '''''Entropisches Institut''''' == | == '''''Entropisches Institut''''' == | ||
Zeile 32: | Zeile 32: | ||
== '''Teilhaben''' == | == '''Teilhaben''' == | ||
− | ''Bewegen'' als transdisziplinäres künstlerisches Forschungsverfahren besitzt das Potenzial, Menschen durch die niedrigschwellige Wahl des Bewegungsmaterials mit ihren unterschiedlichen Erfahrungen, Expertisen und Kenntnissen in künstlerische Arbeits- und Forschungsprozesse einzubeziehen, um neue Perspektiven und Erkenntnisse zu gewinnen, also zu bewegen. Bedingt durch die kopräsente Aufführungssituation haben die performativen Künste Erfahrung im Experimentieren mit Teilhabe sowie Kommunikation innerhalb einer Aufführungssituation, so dass ''bewegen'' ein aus der künstlerischen Praxis heraus anwendbares Verfahren darstellt. In Tanz, Choreographie und Performance wird ''bewegen'' zunehmend zu einem zentralen Verfahren künstlerischer Arbeit und Forschung. Bewegen, sich bewegen, bewegt werden: Als künstlerisches Forschungsverfahren bezieht ''bewegen'' die Beteiligten aktiv, physisch und inhaltlich in den gemeinsamen Prozess ein. Der Körper fungiert dabei als Mittler, als Verbindender zwischen innerer und äußerer Bewegung, welcher die Veränderung der Position in Zeit und Raum und damit die Verschiebung von Perspektiven und eine Erweiterung von Erfahrungen erlebbar werden lässt. | + | ''Bewegen'' als transdisziplinäres künstlerisches Forschungsverfahren besitzt das Potenzial, Menschen durch die niedrigschwellige Wahl des Bewegungsmaterials mit ihren unterschiedlichen Erfahrungen, Expertisen und Kenntnissen in künstlerische Arbeits- und Forschungsprozesse einzubeziehen, um neue Perspektiven und Erkenntnisse zu gewinnen, also im doppelten Sinn zu bewegen. Bedingt durch die kopräsente Aufführungssituation haben die performativen Künste Erfahrung im Experimentieren mit Teilhabe sowie Kommunikation innerhalb einer Aufführungssituation, so dass ''bewegen'' ein aus der künstlerischen Praxis heraus anwendbares Verfahren darstellt. In Tanz, Choreographie und Performance wird so ''bewegen'' zunehmend zu einem zentralen Verfahren künstlerischer Arbeit und Forschung. Bewegen, sich bewegen, bewegt werden: Als künstlerisches Forschungsverfahren bezieht ''bewegen'' die Beteiligten aktiv, physisch und inhaltlich in den gemeinsamen Prozess ein. Der Körper fungiert dabei als Mittler, als Verbindender zwischen innerer und äußerer Bewegung, welcher die Veränderung der Position in Zeit und Raum und damit die Verschiebung von Perspektiven und eine Erweiterung von Erfahrungen erlebbar werden lässt. |
---- | ---- |