Verausgaben
(→Kapitel) |
(→Kapitel) |
||
Zeile 35: | Zeile 35: | ||
Der Hinweis auf Ethnographie führt zur '''3. Perspektive''', die mit dem Begriff Verausgaben und der Analyse transdisziplinären Arbeitens verknüpft ist. | Der Hinweis auf Ethnographie führt zur '''3. Perspektive''', die mit dem Begriff Verausgaben und der Analyse transdisziplinären Arbeitens verknüpft ist. | ||
− | Hier ist von Interesse, die Arbeitsbedingungen, die transdisziplinäres Arbeiten mit sich | + | Hier ist von Interesse, die Arbeitsbedingungen, die transdisziplinäres Arbeiten mit sich bringen, zu analysieren, um die Potenziale dieser Arbeitsformen einschätzen zu können. Dabei geht es darum, dass der vorgeschlagene Begriff das Potenzial auszuloten hilft, das „Verausgaben“ für die Ermöglichung des Zusammenkommens von disziplinären mit nicht-disziplinären Wissenspraktiken besitzt. |
− | Das Beispiel einer ethnographischen Untersuchung von aktivistischen Praktiken, die aus einer Gewerberauminitiative in Berlin eine Wohnraum- und Gebäudekomplexinitiative haben werden lassen, kann dies veranschaulichen. Im Laufe der Forschung galt mein Interesse als | + | Das Beispiel einer ethnographischen Untersuchung von aktivistischen Praktiken, die aus einer Gewerberauminitiative in Berlin eine Wohnraum- und Gebäudekomplexinitiative haben werden lassen, kann dies veranschaulichen. Im Laufe der Forschung galt mein Interesse als Ethnographin zunehmend den Bedingungen für Engagement – in einer Konstellation von beteiligten Gewerbetreibenden, AnwohnerInnen, MieterInnen, QM-lerInnen, LokalpolitikerInnen, interessierten ForscherInnen, Journalistinnen, die alle für die Belange der MieterInnen eines Gebäudekomplexes und gegen die Eigentümergemeischaft protestierten (vgl. Färber 2009b). Über mehrere Jahre (ich selbst habe ca. 1,5 Jahre teilgenommen) haben sich in einer zunächst wachsenden und dann wieder schrumpfenden Zusammensetzung Menschen mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen zusammengetan, um gemeinsame Interessen zu entwickeln und diese zu vertreten. Dass sich nicht alle gleichermaßen involvierten und schließlich die Aktionsgruppe – im Gegensatz zu homogeneren im Stadtteil – auseinander gebrochen ist, liegt nur zum Teil an der Tatsache unterschiedlicher politischer Haltungen oder auch Politikstile (vgl. Riedmann 2010). |
− | Entscheidend für die Dauerhaftigkeit des Engagements war die Möglichkeit, die Zeit, die das Engagement „gekostet“ hat, mehrfach deuten zu können, oder anders gesagt: mehrfach auszuwerten. Dasselbe galt für die Qualität der sozialen Beziehungen. Diejenigen, die sich langfristig engagiert haben in diesem Prozess, konnten sich entweder auf die feste Grundlage der Freundschaft stützen oder hatten ein zusätzlich geschäftliches Interesse. Lange vorher etablierte nachbarschaftliche Beziehungen waren eine sehr viel anfälligere Grundlage für das Durchhaltevermögen. Dagegen haben Momente öffentlicher Aufmerksamkeit (Presse) Menschen punktuell aktiviert und | + | Entscheidend für die Dauerhaftigkeit des Engagements war die Möglichkeit, die Zeit, die das Engagement „gekostet“ hat, mehrfach deuten zu können, oder anders gesagt: mehrfach auszuwerten. Dasselbe galt für die Qualität der sozialen Beziehungen. Diejenigen, die sich langfristig engagiert haben in diesem Prozess, konnten sich entweder auf die feste Grundlage der Freundschaft stützen oder hatten ein zusätzlich geschäftliches Interesse. Lange vorher etablierte nachbarschaftliche Beziehungen waren eine sehr viel anfälligere Grundlage für das Durchhaltevermögen. Dagegen haben Momente öffentlicher Aufmerksamkeit (Presse), Menschen punktuell aktiviert und zusammengebracht. |
Hier schlägt sich die Figur des unternehmerischen Selbst nieder und damit auch die kulturelle Praxis des Verausgabens: Die Frage "Wer macht mit?" entscheidet sich demnach an der Antwort auf die Frage "Wer hat Zeit?". Es ließe sich auch fragen "Wer macht wie mit?" (vgl. Kai van Eikels). Es ließe sich auch fragen, "Wer hat dafür welche Zeit?" | Hier schlägt sich die Figur des unternehmerischen Selbst nieder und damit auch die kulturelle Praxis des Verausgabens: Die Frage "Wer macht mit?" entscheidet sich demnach an der Antwort auf die Frage "Wer hat Zeit?". Es ließe sich auch fragen "Wer macht wie mit?" (vgl. Kai van Eikels). Es ließe sich auch fragen, "Wer hat dafür welche Zeit?" | ||
Zeile 45: | Zeile 45: | ||
Auf transdisziplinäres Arbeiten gewendet, muss diese Frage auch an diejenigen gerichtet werden, die nicht innerhalb einer Disziplin, sei es Kunst oder Wissenschaft, agieren. D.h.: welche Sorte Zeit wird hier investiert? | Auf transdisziplinäres Arbeiten gewendet, muss diese Frage auch an diejenigen gerichtet werden, die nicht innerhalb einer Disziplin, sei es Kunst oder Wissenschaft, agieren. D.h.: welche Sorte Zeit wird hier investiert? | ||
− | Die Möglichkeit, Freizeit als Arbeitszeit geltend zumachen, wie es der Figur des unternehmerischen Selbst zugeschrieben wird, hat in dem oben geschilderten Fall den entscheidenden Unterschied für Engagement gemacht. Genauso wie die Frage, ob KollegInnen auch als FreundInnen betrachtet und angesprochen werden können – eine weitere Vorstellung für die Arbeitskonstellation des unternehmerischen Selbst. Dies könnte für die anderen oben genannten Eckpfeiler (das Format Projekt, Team etc.) durchgespielt werden. | + | Die Möglichkeit, Freizeit als Arbeitszeit geltend zumachen, wie es der Figur des unternehmerischen Selbst zugeschrieben wird, hat in dem oben geschilderten Fall den entscheidenden Unterschied für Engagement gemacht. Genauso wie die Frage, ob KollegInnen auch als FreundInnen betrachtet und angesprochen werden können – eine weitere Vorstellung für die Arbeitskonstellation des unternehmerischen Selbst. Dies könnte für die anderen oben genannten Eckpfeiler (das Format, Projekt, Team etc.) durchgespielt werden. |
− | Das Sich-Verausgaben wird in diesem Zusammenhang genau dann zu einer Ressource, wenn Arbeitszeit als Freizeit gedeutet werden kann; wenn KollegInnen als FreundInnen gelten können. | + | Das Sich-Verausgaben wird in diesem Zusammenhang genau dann zu einer Ressource, wenn Arbeitszeit als Freizeit gedeutet werden kann; wenn KollegInnen als FreundInnen gelten können. An dieser Vorstellung arbeiten sich die involvierten Akteurinnen unterschiedlich ab; bzw. können sie zu unterschiedlichen Graden ins Spiel bringen. Und die Frage wäre: inwiefern kann auch Verausgaben ausgewertet werden? |
− | An dieser Vorstellung arbeiten sich die involvierten Akteurinnen unterschiedlich ab; bzw. können sie zu unterschiedlichen Graden ins Spiel bringen. Und die Frage wäre: inwiefern kann auch Verausgaben ausgewertet werden? | + | D.h. Partizipation als langfristiges Engagement macht sich nicht allein an politischen Stilen und Haltungen, an Zugehörigkeiten etc. fest, sondern an dem Potential, Zeit vielfach zu verwerten. |
− | D.h. Partizipation als langfristiges Engagement macht sich nicht allein an politischen Stilen und Haltungen, an Zugehörigkeiten etc. fest, sondern an dem | + | |
== Bibliographie == | == Bibliographie == |