Versammeln
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Lecture Performances, also Wissenspräsentationen, die gezielt mit ihrem performativen Charakter arbeiten, können ein Vortragsszenario gezielt als Forschungsszenario gestalten und auswerten. Dazu gehört auch die Versammlung eines bestimmten Publikums, die Praxis des Versammelns also - qua Einladung, Adressierung und Beteiligung. | Lecture Performances, also Wissenspräsentationen, die gezielt mit ihrem performativen Charakter arbeiten, können ein Vortragsszenario gezielt als Forschungsszenario gestalten und auswerten. Dazu gehört auch die Versammlung eines bestimmten Publikums, die Praxis des Versammelns also - qua Einladung, Adressierung und Beteiligung. | ||
Parallel dazu lässt sich in wissenshistorischer Dimension zeigen, dass die Entwicklung einer neuen Episteme, wie beispielsweise die Entwicklung des naturwissenschaftlich-experimentellen Wissens, immer auch mit der Entstehung einer neuen Art von Öffentlichkeit und damit zugleich mit neuartigen Formen des Versammelns in Verbindung steht, etwa indem man die Zuschauer erstmals als Augenzeugen eines gezielt hervorgebrachten Geschehens adressiert und einbezieht (vgl. Shapin/Schaffer 1985). | Parallel dazu lässt sich in wissenshistorischer Dimension zeigen, dass die Entwicklung einer neuen Episteme, wie beispielsweise die Entwicklung des naturwissenschaftlich-experimentellen Wissens, immer auch mit der Entstehung einer neuen Art von Öffentlichkeit und damit zugleich mit neuartigen Formen des Versammelns in Verbindung steht, etwa indem man die Zuschauer erstmals als Augenzeugen eines gezielt hervorgebrachten Geschehens adressiert und einbezieht (vgl. Shapin/Schaffer 1985). | ||
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+ | Versammeln als Teil des performativen Forschungsprozesses | ||
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+ | Während nach gängiger Auffasung die an einer epistemischen Versammlung Beteiligten ihre unterschiedlichen Wissensstände in die Versammlung mitbringen, um sie hier miteinander auszutauschen und zu verknüpfen, ist es aus performativer Perspektive eine wechselseitige Beziehung zwischen Sprechakt und verkörperter Versammlung, die ausmacht, was hier jeweils als gewusst erscheinen und damit erkannt werden kann. | ||
+ | Für die transdisziplinäre Forschung zwischen Wissenschaft, Kunst und Gesellschaft, also für Forschungsprojekte an denen, je nach Forschungsfeld und -gegenstand, jeweils spezifische, so genannte Alltagsexperten beteiligt sind, ist ein solches Verständnis von Wissen in der Tat von zentraler Bedeutung. Hinsichtlich der im Theater der Gegenwart weit verbreiteten Arbeit mit so genannten Alltagsexperten wird selten wahrgenommen, dass der Begriff des Alltagsexperten zunächst eine Art Oxymoron ist: Der Alltag kennt keine oder aber ausschließlich Experten. Entscheidend für die Arbeit mit Alltagsexpertinnen ist daher, die entsprechenden Personen mit ihren Erfahrungen zunächst als Expertinnen für etwas Bestimmtes zu begreifen und sie in der Rolle der Expertin anzusprechen. Die so genannten Alltagsexperten sind keineswegs von vornherein Expertinnen für ein bestimmtes Feld, sie werden vielmehr unter dem Begriff „Alltagsexperten“ gefasst, weil ihre Expertise eben nicht bereits durch gegebene gesellschaftliche und diskursive Rahmungen als Expertise erscheint oder gar beglaubigt ist. Stattdessen ist es der Rahmen des Forschungsprojekts selbst, der sie als Expertinnen für eine spezifische Forschungsfrage adressiert und einsetzt. Versammlungen mit solchen Expertinnen werden im Rahmen von transdisziplinären Forschungsprojekten also nicht einfach einberufen, um von einer gegebenen Expertise zu profitieren, sie müssen diese Expertise in der Art des Versammelns ein Stück weit erst als solche figurieren, müssen Rollen und Protokolle vorgeben, die es den Versammelten erlauben, in jenen „Zustand unserer“ zu kommen, der weiß. | ||
+ | Dies umreißt in der Tat genau jene Praxis des Versammelns, die entsteht, wenn die performativen Künste sich mit epistemischen Versammlungen zu befassen beginnen. Ein prominentes Beispiel, an dem dies anschaulich werden kann, sind die Arbeiten Hannah Hurtzigs und der Mobilen Akademie, die mit ihrem Schwarzmarkt des Wissens ein Szenario erfunden und gestaltet hat, in dem bis zu hundert Personen aus Wissenschaft, Kunst und Gesellschaft entlang eines gemeinsamen Themas zu Experten ernannt werden. Die performative Geste, die in dieser Anordnung steckt, ist zunächst die der Gleichstellung sehr unterschiedlicher Expertisen. Dabei sitzen alle Expertinnen an jeweils einem kleinen Tisch und stehen hier für kurze Beratungsgespräche zur Verfügung. Auf diese Weise werden die versammelten, sehr heterogenen Expertisen im Protokoll der Beratung einheitlich formatiert. Dies ist gerade deshalb interessant, weil unter Umständen gerade die Experten, deren Expertise gesellschaftlich bereits eindeutig beglaubigt ist, nämlich die Wissenschaftlerinnen, dafür eine Übertragungsleistung erbringen müssen. Eignet sich ihr Wissen doch unter Umständen weniger zur persönlichen Beratung als das ihrer praktisch tätigen Mitexperten. | ||
+ | In den Forschungsprojekten des Kollegs Versammlung und Teilhabe finden sich vergleichbare Beispiele; etwa ein von Inga Reimers veranstaltetes Dinner, das Expertinnen und Gäste zum Thema der nicht-visuellen Wahrnehmung zusammenführt. Blinde, Volkskundler, Reiki-Lehrerinnen geben dabei einander formal gleichgestellte Inputs – einheitlich formatiert im Genre der Tischrede. Versammeln als Forschen kann in diesem Kontext auch bedeuten, einen spezifischen Personenkreis in neuer Weise zu versammeln und damit zum Sprechen, Wissen, Urteilen zu autorisieren. So hat Elise von Bernstorff unter dem Titel „Das jüngste Gericht“ Jugendliche an der Schwelle zur Strafmündigkeit probeweise als eine Art Prüfungskommission im Amtsgericht versammelt, da die Schwellensituation der Jugendlichen im Verhältnis zum Recht sie in gewissem Sinne zu idealen Prüferinnen unseres Rechtswesens macht. | ||
+ | Damit eine Versammlung ihren Teilnehmern aber so grundlegend andere, gesellschaftlich nicht vorformatierte Rollen und Protokolle eröffnen kann, mehr noch: damit die Teilnehmerinnen diese Rollen tatsächlich performen können, ist in performativer Dimension eine intensive Vorarbeit zu leisten. Zahlreiche Aspekte sind in dieser Praxis forschenden Versammelns zu bedenken, denn was am Ende als das Wissen der Versammlung zur Erscheinung kommt, hängt wesentlich davon ab, wer wie zum Wissen eingeladen, autorisiert und ermutigt wird, wie Wissen aufgerufen und bestätigt, missverstanden, verkörpert und reenacted wird und zwar im Gebrauch von Interfaces zu anderen Versammlungen, im Gebrauch medialer Anordnungen der Aktualisierung und der Aufzeichnung, in der Performanz mehr oder weniger geteilter Rollenverständnisse, mehr oder weniger konfliktiver Strukturen der Stellvertretung und der Fürsprache und ganz unterschiedlicher diskursiver und imaginärer Rahmungen. Deshalb sind in Vorbereitung der Versammlung Adressierungen, Medieneinsätze, Raumordnungen, Zeitordnungen, Requisiten/Dinge/Werkzeuge, Kleiderordnungen, Choreographien und dramaturgische Protokolle mit Bedacht zu entwickeln und aufeinander zu beziehen (vgl. Peters 2013). | ||
+ | Hier lässt sich schließlich der Bogen zurück zur Actor-Network-Theorie spannen. Denn in der Tat umfasst die performative Aufmerksamkeit, die aufgebracht werden muss, um eine Versammlung in dieser Weise als Forschung zu betreiben, ungefähr jenes Spektrum von Akteuren, menschlichen und nicht-menschlichen, das auch in Actor-Networks verzeichnet wird. Zugleich gilt es in der performativen Praxis des Versammeln ebenso an bestehende Actor-Networks anzuschließen, sie aufzufinden, zu aktivieren und sichtbar zu machen, wie das daraus sich ergebende Potenzial zu einer neuen, noch nicht dagewesenen Art der Versammlung zu nutzen. | ||
+ | Aber auch ein Unterschied zwischen dieser Praxis forschenden Versammelns und dem von Latour geschilderten Zusammenhang zwischen Netzwerk, Account und Versammlung lässt sich vor diesem Hintergrund fassen. Er findet sich auf der Ebene der prozessualen Anordnung, der zeitlichen Abfolge. Denn während es bei Latour der Account, der Bericht, die Aufzählung des Gesammelten und darin Versammelten ist, der das Netzwerk zur Versammlung macht, ist es im Falle performativer Forschung umgekehrt das Versammeln als solches, das den Account als vielstimmige Rede und jeweils neue epistemische Praxis erst hervorbringt. Forschung zeigt sich dabei als eine Arbeit an den Voreinstellungen, die bedingen, was im Zuge einer Versammlung als Wissen zur Erscheinung kommen kann. Sie bringt neues Wissen nicht in erster Linie im Zuge der Erweiterung gegebenen Wissens, der Ausweitung des Wissens also, hervor, sondern indem sie Wissen anders als bisher zur Erscheinung kommen lässt. Während der Account bei Latour – trotz aller Vernetzung – an ein klassisches Rollenverständnis des Forschenden anschließt und denjenigen als den eigentlichen Forscher auszeichnet, der den Bericht gibt, lässt sich das, was durch die Arbeit an den performativen Voreinstellungen als Wissen der Versammlung hervorgebracht wird, nicht mehr ohne weiteres dem Initiator der Versammlung als Autorin zurechnen. Zugleich liegt es gewissermaßen in der Versuchsanordnung begründet, dass sich die Versammlungen, die auf diese Weise hervorgebracht werden, deutlich von den gängigen epistemischen Versammlungen im Namen der Wissenschaft unterscheiden. | ||
+ | Interessanter Weise lässt sich Versammeln also gerade dann als Forschen evident machen, wenn es Szenarien hervorbringt, die nicht dem Diskurs akademischer Forschung entsprechen, und damit gesellschaftlich als Vermittlung, Popularisierung, Bildung, Selbsterfahrung, bürgerschaftliches Engagement oder Freizeitvergnügen gelten. Versammeln als Forschen zu betrachten, ist vor diesem Hintergrund ganz wesentlich mit der Frage nach der Beziehung von Forschung und Teilhabe verknüpft. |