Versammeln
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Eine sozialwissenschaftliche Untersuchung ist diesem Verständnis zufolge nicht in erster Linie darauf angelegt, auf einer gänzlich vom Gegenstand der Untersuchung unterschiedenen Ebene Erkenntnisse zu produzieren und festzuhalten. Es geht vielmehr darum, im Untersuchungsfeld, dem Sozialen selbst, mittels der Untersuchung zu wirken. Wer ein Actor-Network beschreibt, wird tendziell zu einem Teil des beschriebenen Netzwerks. Das kann das Netzwerk verändern, kann die Zahl der Akteure im Netzwerk erhöhen und neue Handlungsmöglichkeiten eröffnen. Latour schreibt, der Report, oder auch Account, performe das Soziale, indem er die an der Aktion Beteiligten so versammelt, das sie gesammelt werden können. Um dies zu verstehen, gilt es den spezifischen Handlungsbegriff Latours mitzudenken, demzufolge nicht Menschen handeln, sondern Netzwerke oder Ensembles, in denen Menschen und Nicht-Menschen, also Maschinen, Dinge, Materialien, andere Lebewesen, miteinander in Verbindung stehen. Erst die Verbindung zwischen beiden Arten von Akteuren macht Handlung möglich. Und was für das Handeln im allgemeinen gilt, gilt auch für das Wissen: Nicht Menschen wissen, sondern Netzwerke von Menschen und Dingen, Medien, Institutionen, Materialien, Werkzeugen. Reassembling meint vor diesem Hintergrund auch, im Unterschied zur traditionellen Auszeichnung des Menschen als eigentlich handelndes und wissendes Subjekt, die Mitwirkung der Dinge in Erinnerung zu rufen und zu würdigen. Reassembling kann dies insofern genannt werden, als die Beschreibung eines Actor-Networks das Netzwerk als Versammlung zur Erscheinung bringt. Der gute Account ordnet das Netzwerk als Versammlung an und performt damit das Soziale, insofern das Netzwerk als Versammlung seine Mitglieder zählen, sich von sich selbst Rechenschaft ablegen und weitere Handlungen abstimmen kann. Oder im Hinblick auf das Wissen als Handeln, das Forschen, formuliert: Es ist das Netzwerk, das weiß, doch es ist das Netzwerk als Versammlung, das weiß, dass es weiß, und das vielleicht auch weiß, was es nicht weiß, aber herausfinden könnte. | Eine sozialwissenschaftliche Untersuchung ist diesem Verständnis zufolge nicht in erster Linie darauf angelegt, auf einer gänzlich vom Gegenstand der Untersuchung unterschiedenen Ebene Erkenntnisse zu produzieren und festzuhalten. Es geht vielmehr darum, im Untersuchungsfeld, dem Sozialen selbst, mittels der Untersuchung zu wirken. Wer ein Actor-Network beschreibt, wird tendziell zu einem Teil des beschriebenen Netzwerks. Das kann das Netzwerk verändern, kann die Zahl der Akteure im Netzwerk erhöhen und neue Handlungsmöglichkeiten eröffnen. Latour schreibt, der Report, oder auch Account, performe das Soziale, indem er die an der Aktion Beteiligten so versammelt, das sie gesammelt werden können. Um dies zu verstehen, gilt es den spezifischen Handlungsbegriff Latours mitzudenken, demzufolge nicht Menschen handeln, sondern Netzwerke oder Ensembles, in denen Menschen und Nicht-Menschen, also Maschinen, Dinge, Materialien, andere Lebewesen, miteinander in Verbindung stehen. Erst die Verbindung zwischen beiden Arten von Akteuren macht Handlung möglich. Und was für das Handeln im allgemeinen gilt, gilt auch für das Wissen: Nicht Menschen wissen, sondern Netzwerke von Menschen und Dingen, Medien, Institutionen, Materialien, Werkzeugen. Reassembling meint vor diesem Hintergrund auch, im Unterschied zur traditionellen Auszeichnung des Menschen als eigentlich handelndes und wissendes Subjekt, die Mitwirkung der Dinge in Erinnerung zu rufen und zu würdigen. Reassembling kann dies insofern genannt werden, als die Beschreibung eines Actor-Networks das Netzwerk als Versammlung zur Erscheinung bringt. Der gute Account ordnet das Netzwerk als Versammlung an und performt damit das Soziale, insofern das Netzwerk als Versammlung seine Mitglieder zählen, sich von sich selbst Rechenschaft ablegen und weitere Handlungen abstimmen kann. Oder im Hinblick auf das Wissen als Handeln, das Forschen, formuliert: Es ist das Netzwerk, das weiß, doch es ist das Netzwerk als Versammlung, das weiß, dass es weiß, und das vielleicht auch weiß, was es nicht weiß, aber herausfinden könnte. | ||
− | Versammeln als Teil des Forschungsprozesses: | + | Versammeln als Teil des klassischen Forschungsprozesses: |
+ | Wenn Wissenschaftler_innen sich versammeln, um sich – etwa im Rahmen eines Kolloquiums - über ein bestimmtes Thema auszutauschen, entsteht im Zuge des Austausches, der Kombination und Diskussion gegebener Wissensstände immer auch neues Wissen, und zwar nicht nur auf in faktischer, sondern auch in einer diskursiven Dimension, in der verhandelt wird, was wie gesagt werden kann, was wie gezeigt werden muss, was vorausgesetzt wird, ob und wie Aussagen einander ergänzen oder einander widersprechen etc. Dennoch werden solche Versammlungen im Zeichen des Wissens, solche epistemischen Versammlungen, meist nicht im engeren Sinne als Teil eines Forschungsverfahrens betrachtet, sondern als Momente der Veröffentlichung von Forschungsergebnissen begriffen, die auf andere Weise und an anderer Stelle gewonnen werden. Dabei spielen Praktiken wie das Vermitteln oder das Präsentieren von Wissen eine wichtige Rolle. | ||
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+ | Aus performativer Perspektive ist die Präsentation von Wissen ein Prozess der Vergegenwärtigung und der Verkörperung, der nicht ohne Transformation vonstatten geht. In der Dimension des Performativen verschwimmt daher die Grenze zwischen Lernen und Forschen, denn Wissen in neuer Weise zu verkörpern, hat immer das Potenzial, nicht nur gegebenes Wissen zu reproduzieren, sondern auch neues Wissen zu generieren (vgl. Gergen/Gergen 2010). Dieser wissenspoietische Charakter der Präsentation lässt sich sowohl in experimenteller als auch in historischer Perspektive fokussieren (vgl. Peters 2011): | ||
+ | Lecture Performances, also Wissenspräsentationen, die gezielt mit ihrem performativen Charakter arbeiten, können ein Vortragsszenario gezielt als Forschungsszenario gestalten und auswerten. Dazu gehört auch die Versammlung eines bestimmten Publikums, die Praxis des Versammelns also - qua Einladung, Adressierung und Beteiligung. | ||
+ | Parallel dazu lässt sich in wissenshistorischer Dimension zeigen, dass die Entwicklung einer neuen Episteme, wie beispielsweise die Entwicklung des naturwissenschaftlich-experimentellen Wissens, immer auch mit der Entstehung einer neuen Art von Öffentlichkeit und damit zugleich mit neuartigen Formen des Versammelns in Verbindung steht, etwa indem man die Zuschauer erstmals als Augenzeugen eines gezielt hervorgebrachten Geschehens adressiert und einbezieht (vgl. Shapin/Schaffer 1985). |