Sammeln

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Sammeln als Phänomen lässt sich in allen Epochen der Kulturgeschichte wieder finden , schon die frühen Jäger und Sammler lagerten ausgewählte Nahrungsmittel im Hinblick auf karge Zeiten. Bald jedoch beginnt der Mensch nicht mehr allein auf Grund seines Überlebenswillens zu sammeln, sondern überdies Luxusgüter sowie Objekte, die sein ästhetisches oder wissenschaftliches Interesse wecken, zusammenzutragen. In der Renaissance, mit ihrem Wissenshunger nach Neuem und Unentdecktem, erreicht die Sammelleidenschaft ihren ersten Höhepunkt, in dieser Epoche, so Reinhard Brandt: „(...) mündet die Materialsammlung in ein Meer, das keine Orientierung mehr bietet. Da gibt es Pflanzensammlungen in den ersten botanischen Gärten, Kuriositätenkabinette, Bildersammlungen reicher Fürsten, Sammlungen von Büchern in den ersten öffentlichen Bibliotheken, Münzsammlungen und die Sammlung von Erfahrungen und Experimenten bei Francis Bacon. Alle Welt sammelt und wird gesammelt, und von der Renaissance bis zur Gegenwart lässt diese überbordende Fülle des Sammelns nicht nach“  (Brandt 1994 : 22).
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Sammeln als Phänomen lässt sich in allen Epochen der Kulturgeschichte wieder finden, schon die frühen Jäger und Sammler lagerten ausgewählte Nahrungsmittel im Hinblick auf karge Zeiten. Bald jedoch beginnt der Mensch nicht mehr allein auf Grund seines Überlebenswillens zu sammeln, sondern überdies Luxusgüter sowie Objekte, die sein ästhetisches oder wissenschaftliches Interesse wecken, zusammenzutragen. In der Renaissance, mit ihrem Wissenshunger nach Neuem und Unentdecktem, erreicht die Sammelleidenschaft ihren ersten Höhepunkt, in dieser Epoche, so Reinhard Brandt: „(...) mündet die Materialsammlung in ein Meer, das keine Orientierung mehr bietet. Da gibt es Pflanzensammlungen in den ersten botanischen Gärten, Kuriositätenkabinette, Bildersammlungen reicher Fürsten, Sammlungen von Büchern in den ersten öffentlichen Bibliotheken, Münzsammlungen und die Sammlung von Erfahrungen und Experimenten bei Francis Bacon. Alle Welt sammelt und wird gesammelt, und von der Renaissance bis zur Gegenwart lässt diese überbordende Fülle des Sammelns nicht nach“  (Brandt 1994 : 22).
  
 
Lenkt man die Betrachtung auf das, was den Akt des Sammelns definiert und beschreibt, so stellt sich vorab die grundlegende Frage, was sich überhaupt sammeln kann und lässt. Zerstreute Dinge, beantwortet Manfred Sommer dies zunächst ganz allgemein. Zerstreut, so Sommer weiter, kann aber nur sein, „(...) was einerseits vieles ist und was andererseits einen Raum zur Verfügung hat, in welchem es weit genug auseinander sein kann und durch den es sich derart zu bewegen vermag, dass es nachher nahe beieinander ist. Das teilt den Raum in wenigstens zwei: Einen, aus dem heraus und einen, in den hinein die Sammelbewegung sich vollzieht“  (Sommer 1999 : 9). Sammeln heißt prinzipiell, Objekte „aus verschiedenen räumlichen und zeitlichen Ebenen“  (te Heesen u. E. C. Sary 2002 : 15) an einen gemeinsamen Ort zu transportieren um sie dort zusammenzuführen.  
 
Lenkt man die Betrachtung auf das, was den Akt des Sammelns definiert und beschreibt, so stellt sich vorab die grundlegende Frage, was sich überhaupt sammeln kann und lässt. Zerstreute Dinge, beantwortet Manfred Sommer dies zunächst ganz allgemein. Zerstreut, so Sommer weiter, kann aber nur sein, „(...) was einerseits vieles ist und was andererseits einen Raum zur Verfügung hat, in welchem es weit genug auseinander sein kann und durch den es sich derart zu bewegen vermag, dass es nachher nahe beieinander ist. Das teilt den Raum in wenigstens zwei: Einen, aus dem heraus und einen, in den hinein die Sammelbewegung sich vollzieht“  (Sommer 1999 : 9). Sammeln heißt prinzipiell, Objekte „aus verschiedenen räumlichen und zeitlichen Ebenen“  (te Heesen u. E. C. Sary 2002 : 15) an einen gemeinsamen Ort zu transportieren um sie dort zusammenzuführen.  
  
Jean Baudrillard beschreibt den Vorgang des Sammelns wie folgt: „Das aus seiner Funktion enthobene, aus dem Gebrauch gezogene Objekt erhält [im Akt des Sammelns, S.L.] einen rein subjektiven Status. Es hört auf Teppich, Tisch, Kompass oder Nippsachen zu sein und wird Objekt einer Sammlung“  (Baudrillard 2007 : 111). Walter Benjamins Überlegungen zum Sammlungsbegriff schließen daran an, wenn er schreibt, dass „(...) im Sammeln ein Gegenstand aus allen ursprünglichen Funktionen gelöst wird, um in die denkbar engste Beziehung zu seinesgleichen zu treten“  (Benjamin 1983 : 271). Sammeln definiert folglich eine Handlung, in der verschiedene Objekte aus ihrem alltäglichen Bedeutungszusammenhang genommen werden, um sie unter einem bestimmten Begriff zusammenführen, der sie in einen neuen Bezug zueinander setzt.
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Jean Baudrillard beschreibt den Vorgang des Sammelns wie folgt: „Das aus seiner Funktion enthobene, aus dem Gebrauch gezogene Objekt erhält [im Akt des Sammelns, S.L.] einen rein subjektiven Status. Es hört auf Teppich, Tisch, Kompass oder Nippsachen zu sein und wird Objekt einer Sammlung“  (Baudrillard 2007 : 111). Walter Benjamins Überlegungen zum Sammlungsbegriff schließen daran an, wenn er schreibt, dass „(...) im Sammeln ein Gegenstand aus allen ursprünglichen Funktionen gelöst wird, um in die denkbar engste Beziehung zu seinesgleichen zu treten“  (Benjamin 1983 : 271). Sammeln definiert folglich eine Handlung, in der verschiedene Objekte <ref>hier auch nichtdingliche Objekte mitgedacht, wie Äußerungen, Meinungen oder Gedanken.</ref> aus ihrem alltäglichen Bedeutungszusammenhang genommen werden, um sie unter einem bestimmten Begriff zusammenführen, der sie in einen neuen Bezug zueinander setzt.
  
Wie lassen sich nun einzelne Sammlungsformen voneinander unterscheiden? Reinhard Brandt differenziert die Tätigkeit des Sammelns anhand seines Antriebs grundlegend in drei Klassen . Erstens: Sammeln aus einem Begehrungsvermögen heraus, das zu Sammlungen führt, die Gegenstände nach dem Gesichtspunkt des Nutzens akkumulieren, wie beispielsweise die Anhäufung von Geld, das auf einen Mehrwert zielt. Zweitens: Sammeln aus einem Erkenntnisvermögen heraus, Sammlungen, die dem Erforschen der Wahrheit dienen, wie wissenschaftliche Archive, Museen oder die Kunst- und Wunderkammern der Renaissance. Und Drittens: Sammeln aus einem Gefühl der Lust heraus, Sammlungen also, die dem Wohlgefallen an kuriosen Dingen entspringen, wie private Sammlungen von seltsam geformten Steinen, bunten Glaskaraffen oder Briefmarken.  
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Wie lassen sich nun einzelne Sammlungsformen voneinander unterscheiden? Reinhard Brandt differenziert die Tätigkeit des Sammelns anhand seines Antriebs grundlegend in drei Klassen.<ref>Entsprechend der Lehre des menschlichen Vermögens, des Guten (Begehrungsvermögen), des Wahren (Erkenntnisvermögen) und des Schönen (Interesseloses Gefühl der Lust oder Unlust).</ref> Erstens: Sammeln aus einem Begehrungsvermögen heraus, das zu Sammlungen führt, die Gegenstände nach dem Gesichtspunkt des Nutzens akkumulieren, wie beispielsweise die Anhäufung von Geld, das auf einen Mehrwert zielt. Zweitens: Sammeln aus einem Erkenntnisvermögen heraus, Sammlungen, die dem Erforschen der Wahrheit dienen, wie wissenschaftliche Archive, Museen oder die Kunst- und Wunderkammern der Renaissance. Und Drittens: Sammeln aus einem Gefühl der Lust heraus, Sammlungen also, die dem Wohlgefallen an kuriosen Dingen entspringen, wie private Sammlungen von seltsam geformten Steinen, bunten Glaskaraffen oder Briefmarken.  
 
Alle drei Sammlungstypen divergieren daneben in einem weiteren wesentlichen Punkt: das pure Begehren akkumuliert blind, so Brandt, ihm geht es um die Anhäufung von Masse, im Gegensatz zum Sammeln aus Wohlgefallen, das sich für das Einzelne interessiert. Das Sammeln der Erkenntnis indes richtet sich auf beides, nämlich auf „das Individuelle als das Allgemeine“  (Brandt 1994 : 29).
 
Alle drei Sammlungstypen divergieren daneben in einem weiteren wesentlichen Punkt: das pure Begehren akkumuliert blind, so Brandt, ihm geht es um die Anhäufung von Masse, im Gegensatz zum Sammeln aus Wohlgefallen, das sich für das Einzelne interessiert. Das Sammeln der Erkenntnis indes richtet sich auf beides, nämlich auf „das Individuelle als das Allgemeine“  (Brandt 1994 : 29).
 
Allen Sammelformen liegt zugrunde, dass aus einer Vielzahl von Objekten ausgewählt werden muss. Sammeln heißt Entscheidungen zu treffen, sich also für Objekt C und nicht für Objekt A oder B zu entscheiden. Daraus ergibt sich, dass der Akt des Sammelns ein Subjekt erfordert, das Dinge aktiv zusammenführt, dabei ein- oder ausschließt und so festlegt, welches Objekt Teil einer Sammlung wird und welches nicht.
 
Allen Sammelformen liegt zugrunde, dass aus einer Vielzahl von Objekten ausgewählt werden muss. Sammeln heißt Entscheidungen zu treffen, sich also für Objekt C und nicht für Objekt A oder B zu entscheiden. Daraus ergibt sich, dass der Akt des Sammelns ein Subjekt erfordert, das Dinge aktiv zusammenführt, dabei ein- oder ausschließt und so festlegt, welches Objekt Teil einer Sammlung wird und welches nicht.
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Sammeln als Arbeitsmethode ist – wie sich gezeigt hat – elementarer Bestandteil in wissenschaftlichen und künstlerischen Prozessen. Als ästhetische Arbeitsweise und Darstellungsform bietet es ferner die Möglichkeit, tradierte Sammlungsformen zu hinterfragen und neue Strategien des Sammelns zu entwerfen. Da der Akt des Sammelns impliziert, sich auf eine bestimmte Weise Welt anzueignen und zu verstehen, schaffen neue künstlerische Sammlungsstrategien ungewohnte Horizonte auf vermeintlich Altbekanntes.  
 
Sammeln als Arbeitsmethode ist – wie sich gezeigt hat – elementarer Bestandteil in wissenschaftlichen und künstlerischen Prozessen. Als ästhetische Arbeitsweise und Darstellungsform bietet es ferner die Möglichkeit, tradierte Sammlungsformen zu hinterfragen und neue Strategien des Sammelns zu entwerfen. Da der Akt des Sammelns impliziert, sich auf eine bestimmte Weise Welt anzueignen und zu verstehen, schaffen neue künstlerische Sammlungsstrategien ungewohnte Horizonte auf vermeintlich Altbekanntes.  
In einem Interview zu Methoden und Ausführungen bezüglich seiner künstlerischen Sammeltätigkeit gibt Peter Piller dafür schlussendlich eine anschauliche Beschreibung:
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In einem Interview zu Methoden und Ausführungen bezüglich seiner künstlerischen Sammeltätigkeit gibt Peter Piller <ref>Zur Arbeitsweise Pillers siehe auch: „Vorzüge der Absichtslosigkeit. Peter Piller und seine Bildarchive“, in Seyfarth, Ludwig: Unsichtbare Sammlungen, Philo Fine Arts, Hamburg 2008.</ref> dafür schlussendlich eine anschauliche Beschreibung:
 
„Jede Archivierung ist auch eine Selbstarchivierung. Mir fallen als Künstler natürlich andere Dinge auf, als beispielsweise einem Politiker auffallen würden. Ich werde eher auf Verwandtschaftsbeziehungen zu anderen Bildern aufmerksam. Idealerweise schafft es ein Archiv, das Vergessen etwas aufzuschieben und Dinge, die sich gleichen, aber räumlich weit von einander getrennt sind, so zu verdichten, dass man ihre Ähnlichkeit wahrnimmt. [...] Z.B. bei der Serie « Auto berühren» ist es auf den ersten Blick nicht erstaunlich, das jemand neben einem Auto steht und es berührt, aber sobald man davon 10, 20 oder 30 Bilder sieht, stellt man sich die Frage, was das soll und ob es nicht vielleicht aufschlussreich ist bezüglich der Beziehung, die Leute zu ihren Fahrzeugen haben.“(Piller 2002 : 313)   
 
„Jede Archivierung ist auch eine Selbstarchivierung. Mir fallen als Künstler natürlich andere Dinge auf, als beispielsweise einem Politiker auffallen würden. Ich werde eher auf Verwandtschaftsbeziehungen zu anderen Bildern aufmerksam. Idealerweise schafft es ein Archiv, das Vergessen etwas aufzuschieben und Dinge, die sich gleichen, aber räumlich weit von einander getrennt sind, so zu verdichten, dass man ihre Ähnlichkeit wahrnimmt. [...] Z.B. bei der Serie « Auto berühren» ist es auf den ersten Blick nicht erstaunlich, das jemand neben einem Auto steht und es berührt, aber sobald man davon 10, 20 oder 30 Bilder sieht, stellt man sich die Frage, was das soll und ob es nicht vielleicht aufschlussreich ist bezüglich der Beziehung, die Leute zu ihren Fahrzeugen haben.“(Piller 2002 : 313)   
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==Anmerkungen==
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<references/>
  
 
==Bibliographie==  
 
==Bibliographie==  

Version vom 19. März 2013, 15:52 Uhr

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