Experimentieren
Aus A-Z der transziplinären Forschung
(→Das Experiment als Apparatur zum Generieren von Erkenntnis) |
(→Bibliographie) |
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==Historische Entwicklung des Experiments== | ==Historische Entwicklung des Experiments== | ||
+ | In den vielfältigen Einführungen zum Experiment als Methode in den Natur- und Geisteswissenschaften wird häufig für das 17. Jahrhundert ein Wandel in den (Natur-)wissenschaften beschrieben, der mit dem Wandel des Experimentverständnisses einhergeht. So wurde dem (naturwissenschaftlichen) Experiment zu dieser Zeit eine theorienerzeugende Funktion und damit eine eher unabhängigere, schöpferische Fähigkeit zugesprochen. Im 20. Jahrhundert wurde hingegen u.a. von Karl Popper eher die theorieprüfende Rolle des Experiments betont, was mit verstärkter Kontrolle der Variablen einherging und das Labor, wie bereits erwähnt, zu einem hermetischen, nicht (mehr) öffentlichen Raum werden ließ. (Vgl. Hoffmann 2009: 93) | ||
+ | Die Literaturwissenschaftlerin Gunhild Berg stellt in den letzten zwei Jahrhunderten eine ansteigende Verwendung des Experimentsbegriffs und damit verbundener Verfahren nicht nur in den Naturwissenschaften fest. Dabei entstanden verschiedene Auffassungen des Experimentierens bis hin zur Auflösung von einordnenden Kriterien wie zum Beispiel die Wiederholbarkeit. Darüber hinaus diente vor allem in den Geisteswissenschaften die Verwendung des Experimentbegriffs auch als Instrument, um u.a. Empirie als Gradmesser für Wissenschaftlichkeit vorzutäuschen. (Vgl. Berg 2009: 16) Heute gilt ein Experiment gemeinhin als ein Aufbau oder Verfahren, mit dem Informationen, Daten und Erkenntnis empirisch gewonnen werden können, welches nach wie vor insbesondere mit den Natur- und Ingenieurswissenschaften verbunden wird. | ||
==Beispiele== | ==Beispiele== | ||
===Naturwissenschaftliche Experimente=== | ===Naturwissenschaftliche Experimente=== | ||
+ | In diesem Bereich kommt dem Experiment die Funktion des Überprüfens, Testens, Messens und Beobachtens unter kontrollierten Bedingungen zu. Um den Ablauf und die Einflüsse in den Ablauf des Experiments so gut wie möglich erkennen und eingrenzen zu können, finden diese meist in Laboren statt. Die spezifischen Bedingungen und ihre Protokollierung sind deshalb für diese Art von Experimenten wichtig, weil es unter eben diesen reproduzierbar sein muss und die Erkenntnisse nur dann als valide und aussagekräftig gelten. Häufig werden in naturwissenschaftlichen Experimenten, die keine Erkenntnisse im Hinblick auf das vorher definierte Ziel bringen, als Fehlversuche bezeichnet. | ||
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+ | Als frühe Formen des Experiments werden häufig die Versuche zum freien Fall von Galileo Galilei angegeben, in denen er die Falleigenschaften verschiedener Stoffe untersuchte und dokumentierte. Im Zusammenhang dieses Artikels sei auch noch einmal auf die Schriften Hans Jörg Rheinbergers verwiesen, der das Experimentalsysteme am Beispiel Molekularbiologischer Versuche erläutert. (Vgl. Rheinberger 1992) | ||
===Künstlerische/Kulturwissenschaftliche Experimente=== | ===Künstlerische/Kulturwissenschaftliche Experimente=== | ||
+ | Künstlerische und Kulturwissenschaftliche Experimente haben meist zum Ziel, (soziale, kulturelle, ästhetische etc.) Grenzen auszuloten und auch zu überschreiten und dabei Grenzen zu verschieben. (Vgl. Kreuzer 2012: 7). Ein grundlegender Unterschied zum naturwissenschaftlichen Experiment liegt darin, dass vor allem künstlerische Experimente meist dann nicht mehr als experimentell bezeichnet werden, wenn sie wiederholt werden (können). Der ungewisse Ausgang wird somit bei dieser Form des Experiments verstärkt fokussiert. Hier kann nur durch das Unerwartete bzw. Unerwartbare überhaupt Neues entstehen. | ||
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+ | BEISPIELE: | ||
+ | Aufgrund der Fülle an experimentellen Werken fällt es schwer hier exemplarisch künstlerische Experimente hervorzuheben. Als experimentelle Verfahren in (bildender) Kunst, Literatur und Theater können nach Stefanie Kreuzer beispielsweise folgende genant werden: akribische Versuchsreihen, provokative Publikumswirkung, experimentelle Schreibweisen (stream of consiousness), Wahrnehmungsexperimente, Veränderungen von Ausdrucks- und Bühnenformaten sowie Darstellungstraditionen. (Vgl. Kreuzer 2012: 7f) | ||
===Ethnographische Experimente=== | ===Ethnographische Experimente=== | ||
+ | Der Begriff des ethnographischen Experiments ist insbesondere in der deutschsprachigen Ethnographie weitestgehend unbekannt. Es ist im Rahmen von Diskussionen um die Möglichkeiten und Grenzen zeitgenössischer ethnographischer Forschung zu sehen, die vor allem im anglo-amerikanischen Raum geführt wurde und wird. Ein Praxisbeispiel für die Erweiterung ethnographischer Arbeit ist im Zuge dieser Diskussionen die Verbindung von künstlerischer und ethnographischer Praxis und eben auch der Einbezug experimenteller Verfahren in Ethnographien. Dieser beschränkt sich jedoch weitestgehend auf alternative Formen der Repräsentationen wie z.B. Film, Fotografie, dialogische Texte anstatt klassischer, wissenschaftlicher Monographien. Experimentelles Vorgehen in der Forschung, indem zum Beispiel in Form von Interventionen bewusst Parameter des Untersuchungsfeldes verändert werden, ist jedoch kaum präsent. | ||
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+ | BEISPIEL: | ||
+ | In diesem ethnographischen Experiment „Mixing Methods, Tasting Fingers“ versammelten sich sechs Wissenschaftlerinnen, um an einem Abend Gerichte verschiedener Esskulturen gemeinsam mit den Händen zu essen. Eine Leitfrage des Abends war dabei, ob und inwiefern es den Geschmack einer Speise verändert, wenn sie mit den Händen gegessen wird. (Vgl. Mann, Mol, et. al 2012) | ||
==Bibliographie== | ==Bibliographie== | ||
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Berg, Gunhild (2009): Zur Konjunktur des Begriffs "Experiment" in den Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaften. In: Michael Eggers (Hg.): Wissenschaftsgeschichte als Begriffsgeschichte. Terminologische Umbrüche im Entstehungsprozess der modernen Wissenschaften. Bielefeld: Transcript, S. 51–82. | Berg, Gunhild (2009): Zur Konjunktur des Begriffs "Experiment" in den Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaften. In: Michael Eggers (Hg.): Wissenschaftsgeschichte als Begriffsgeschichte. Terminologische Umbrüche im Entstehungsprozess der modernen Wissenschaften. Bielefeld: Transcript, S. 51–82. | ||
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+ | DUDEN online: http://www.duden.de/suchen/dudenonline/experiment, zuletzt geprüft am 06.01.2014 | ||
Greverus, Ina-Maria (Hg.) (2003): Shifting grounds. Experiments in doing ethnography. Münster: Lit. | Greverus, Ina-Maria (Hg.) (2003): Shifting grounds. Experiments in doing ethnography. Münster: Lit. | ||
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Rheinberger, Hans-Jörg (1992): Experiment, Differenz, Schrift. Zur Geschichte epistemischer Dinge. Marburg an der Lahn: Basilisken-Press. | Rheinberger, Hans-Jörg (1992): Experiment, Differenz, Schrift. Zur Geschichte epistemischer Dinge. Marburg an der Lahn: Basilisken-Press. | ||
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== Anmerkungen == | == Anmerkungen == | ||
<references/> | <references/> |