Teilhaben

Aus A-Z der transziplinären Forschung
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Jacques Rancière beschreibt in ''Zehn Thesen zur Politik'' (Diaphanes 2008) Teilhabe als paradoxen Handlungstyp, denn der Bürger/die Bürgerin hat gleichzeitig Anteil am Herrschen und am Beherrscht-werden. Teilhabe wird also erlitten. Rancière leitet Teilhabe von dem griechischen Wort μέθεξις (''methexis''; teilhaben, mit-haben) her.
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Dieser Artikel wird im letzten Semester des Graduiertenkollegs aufgrund der gesammelten Forschungsergebnisse in gemeinsamer Arbeit fertiggestellt.
 
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Politik setzt für Rancière dort an, wo diejenigen, die nicht an der Verteilung von Macht und Gütern Teil haben, einen Anteil einfordern. Politik setzt also die Unterbrechung der bestehenden Verteilungslogik voraus. Politik hat keinen eigenen Ort und keine natürliche Subjekte. Sie ist nicht Ausführen von Macht, sondern von Beziehungen; es geht nicht nur um die Austragung der öffentlichen Meinung, sondern um die Momente, in denen das aufklingt, was keine Stimme hat. Es gibt keine Politik ohne eine Demokratie; Demokratie ist eben jene Unterbrechung, in der ein Subjekt in die Politik eingreift. demos, das Volk, ist der, der spricht, obwohl er nicht zu sprechen hat; der Teil, der bei der Zählung des Volkes nicht gezählt wird. Der Teil der Anteillosen ist eine unbekannte Größe, nicht zählbar, wird aber in der Demokratie mitgerechnet; daher ist die Demokratie ebenso wie Teilhabe paradox.
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Die Polizei ist die Aufrechterhaltung der bestehenden Ordnung, sie verbirgt den unzählbaren Teil der Anteillosen, indem sie die Aufteilung des Sinnlichen verteidigt, verwaltet oder erhält.
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Kunst ist politisch, wenn sie die Aufteilung des Sinnlichen, die Verteilung des Sicht- und Hörbaren im sozialen Raum verändert. Ästhetik wird zum Zugang, zum Schlüssel zur Politik: so lassen sich Konflikte beschreiben, sichtbar machen, erkennen. Die Wahrnehmung der Kunst ist selbst in ein Regime der Sichtbarkeit eingebunden. Diese Vorbedingungen, die Denkbares und Wahrnehmbares vom ungedacht und ungesehen Bleibenden unterscheiden, können mit Kunst bewusst wahrnehmbar oder erkennbar gemacht werden. Kunst kann andere Subjekte teilhaben lassen, wenn nicht vorab das Entscheidende bereits festgelegt ist: wer zur Aussage berechtigt ist.
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Sind unter diesen Voraussetzungen also bekannte Partizipationsversuche falsche Formate, da sie üblicherweise bereits zu Beginn festlegen, wer woran teilhaben soll oder darf?
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Das Teil im Teilhaben, das man hat, bezieht sich nicht auf ein bekanntes Ganzes. Es gilt, immer einen Anteil hinzuzuzählen, es muss immer ausgehandelt werden, welchen Teil man hat im Teilhaben. Der Teil darf nicht von vornhinein festgelegt werden. Politisches Teilhaben im Sinne Rancières bedeutet nicht, Jemanden einem ihm zugestanden Teil zuzuwenden, sondern auszuhandeln – das muss bei der Organisation auch berücksichtigt werden. Die Teilhabe bezieht sich also nicht auf ein definierbares Ganze, sondern im Ganzen ist immer ein Anteil unzählbar, unsichtbar. Das gilt auch für Verweigerung in Partizipationsprozessen.
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Gehen war ein „Paradigma des Postmodern Dance, der bekanntlich kein Tanz mehr sein will und dennoch Tanz als Performance reformuliert“ (Brandstetter 2000: S.120). Die Grenzen zwischen Tänzern und Nicht-Tänzern sowie zwischen zwischen Kunst und Alltag wurden verwischt. Für die Mitglieder des Judson Dance Theater war dies nicht nur ästhetisch, sondern auch politisch motiviert. Sie waren daran interessiert, Bewegungs-, Handlungs- und Ausdrucksweisen zu finden, die für eine demokratische Mehrheit Bedeutung haben könnten. Gehen war für diese Generation ein symbolisch aufgeladener, revolutionärer Akt (vgl. Banes 1987: 18). Lucinda Childs, eine der Protagonistinnen des Postmodern Dance, widmet sich in ihrem Stück "Radial Courses" (1976) diesem Gehen.
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Die zeitgenössische Choreographin Nicole Beutler belebt in "2: Dialogue with Lucinda" (2010) "Radial Courses" neu und damit auch den Akt des Gehens. Er wird aber auch auf eine Gegenwart bezogen, die eines symbolisch aufgeladenen, revolutionären Aktes vielleicht gar nicht so sehr bedarf (vgl. van Eikels 2013: S. 92 ) wie vielmehr eines Mitteilens und Teilens von Praxen als Handlungsweisen, die nichts weiter tun, als sich zu vollziehen (vgl. van Eikels 2013: S. 29). Dabei geht es nicht primär um Verwandlung in der ästhetischen Erfahrung oder um politische Revolution, sondern darum, in der Aktivierung eines prozedural-motorischen Gedächtnisses in Verbindung zu seinen vielfältigen symbolischen Ebenen Teilhabe möglich und erlebbar zu machen.
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Indem die Zuschauer sich in Nicole Beutlers Version auf annähernd gleicher Ebene mit den Tänzern und nah an diesen dran befinden, erleben sie nicht nur das Körperliche des Gehens mit, sondern erfahren es als Ähnliche unter Ähnlichen. Und selbst wenn die Sprung- und Drehsequenzen einer Körperbeherrschung bedürfen, die über das Alltägliche hinausgeht, können die Zuschauer die meiste Zeit mit den – die meiste Zeit gehenden – Tänzern mitgehen, d.h., ihr eigenes Gehen einpendeln auf das Teilbare daran.
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Das Moment der Teilhabe in dem Tanzstück "Radial Courses" könnte so in der Vergegenwärtigung des Gehens als individueller Praxis liegen, die in ihrer Alltäglichkeit und in ihrer immer schon geteilten bzw. stetig zu teilenden Technizität weit über das zuschauende wie auch tanzende Subjekt hinausgeht.
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Aktuelle Version vom 8. Mai 2014, 13:18 Uhr

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