Präsentieren

Aus A-Z der transziplinären Forschung
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Präsentieren = Forschen?  
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'''Präsentieren = Forschen?'''
  
 
Der vorliegende Artikel will herleiten, warum und wie sich das Präsentieren von Wissen als Forschungsverfahren begreifen und betreiben lässt. Ausgangspunkt dafür ist die wissenschaftliche Praxis des Vortragens. In dieser Praxis sind Präsentation und Forschung traditionell eng verbunden und doch in spezifischer Weise voneinander getrennt. Im Folgenden wird diese Trennung kritisch hinterfragt. Anschließend entwerfe ich Präsentieren als ein Verfahren transdisziplinären Forschens zwischen Kunst und Wissenschaft.  
 
Der vorliegende Artikel will herleiten, warum und wie sich das Präsentieren von Wissen als Forschungsverfahren begreifen und betreiben lässt. Ausgangspunkt dafür ist die wissenschaftliche Praxis des Vortragens. In dieser Praxis sind Präsentation und Forschung traditionell eng verbunden und doch in spezifischer Weise voneinander getrennt. Im Folgenden wird diese Trennung kritisch hinterfragt. Anschließend entwerfe ich Präsentieren als ein Verfahren transdisziplinären Forschens zwischen Kunst und Wissenschaft.  
  
  
Vortragsanalyse als Diskursanalyse  
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'''Vortragsanalyse als Diskursanalyse'''
  
 
Vorträge sind ein wichtiger und alltäglicher Teil wissenschaftlicher Praxis. Sie dienen dabei häufig als eine Art Interface zu anderen Teilen der wissenschaftlichen Praxis, die als zentral ausgewiesen werden, nämlich diejenigen, in denen das Wissen produziert wird: die Arbeit in Archiven oder im Labor, die Forschung im Feld und in der statistischen Auswertung oder am Rechner als Simulator. Im Vortrag wird demnach Wissen zusammengestellt und vermittelt, das sich im Verweis auf diese Praktiken der Wissensproduktion und der Verifikation als Wissen legitimiert. Um dies zu verdeutlichen, genügt es, sich einmal das Gegenteil vor Augen zu führen. Man stelle sich beispielsweise einen Historiker vor, der in einem Vortrag von einem Forschungsprojekt berichtet. Zunächst geht es um das Auffinden eines historischen Zusammenhangs in einer Reihe von Archiven. Dann setzt sich der Bericht folgendermaßen fort:  
 
Vorträge sind ein wichtiger und alltäglicher Teil wissenschaftlicher Praxis. Sie dienen dabei häufig als eine Art Interface zu anderen Teilen der wissenschaftlichen Praxis, die als zentral ausgewiesen werden, nämlich diejenigen, in denen das Wissen produziert wird: die Arbeit in Archiven oder im Labor, die Forschung im Feld und in der statistischen Auswertung oder am Rechner als Simulator. Im Vortrag wird demnach Wissen zusammengestellt und vermittelt, das sich im Verweis auf diese Praktiken der Wissensproduktion und der Verifikation als Wissen legitimiert. Um dies zu verdeutlichen, genügt es, sich einmal das Gegenteil vor Augen zu führen. Man stelle sich beispielsweise einen Historiker vor, der in einem Vortrag von einem Forschungsprojekt berichtet. Zunächst geht es um das Auffinden eines historischen Zusammenhangs in einer Reihe von Archiven. Dann setzt sich der Bericht folgendermaßen fort:  
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JedeR, der/die Erfahrungen in projektorientierter Forschung gemacht hat, wird zustimmen, dass das hier dargestellte Geschehen durchaus typisch ist – häufig werden Präsentationszusammenhänge für den Forschungsprozess produktiv. Dennoch ist ein entsprechender Bericht im Rahmen eines wissenschaftlichen Vortrag überaus unwahrscheinlich. Lässt sich dies ändern? Wie wäre die Produktivität der Wissenspräsentation als Forschungsverfahren zu begreifen und zu beschreiben?  
 
JedeR, der/die Erfahrungen in projektorientierter Forschung gemacht hat, wird zustimmen, dass das hier dargestellte Geschehen durchaus typisch ist – häufig werden Präsentationszusammenhänge für den Forschungsprozess produktiv. Dennoch ist ein entsprechender Bericht im Rahmen eines wissenschaftlichen Vortrag überaus unwahrscheinlich. Lässt sich dies ändern? Wie wäre die Produktivität der Wissenspräsentation als Forschungsverfahren zu begreifen und zu beschreiben?  
In seiner berühmten Antrittsvorlesung „Die Ordnung des Diskurses“ spielt Foucault mit dem doppelten Bezug des Wortes Diskurs, das zum einen eine jeweils konkrete, mediale, soziale Ordnung des Sprechens bezeichnet – und zwar im allgemeinen – und zum anderen den Vortrag „Die Ordnung des Diskurses“ selbst.  Ein Prozess der Selbstexemplifikation ist in dieser Antrittsvorlesung im Gange, der die Entfaltung von Erkenntnis vorantreibt: Was regelt die Ordnung des Sprechens in diesem Moment, in dem ich spreche? Für die Diskursanalyse ist das Selbst dieser Selbstexemplifikation allerdings ein fragwürdiger Schauplatz. Und so hat die Diskursanalyse in den vergangenen Jahrzehnten zwar die Kulturwissenschaft als historische Praxis geprägt, nicht jedoch das Szenario des Vortragens verändert. Nichtsdestoweniger ist das, was ich im Folgenden vorschlagen möchte, nichts anderes als eine Diskursanalyse, bezogen jedoch auch auf den konkreten Diskurs, in dem man selbst präsentiert.  
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In seiner berühmten Antrittsvorlesung „Die Ordnung des Diskurses“ spielt Foucault mit dem doppelten Bezug des Wortes Diskurs, das zum einen eine jeweils konkrete, mediale, soziale Ordnung des Sprechens bezeichnet – und zwar im allgemeinen – und zum anderen den Vortrag „Die Ordnung des Diskurses“ selbst (1).  Ein Prozess der Selbstexemplifikation ist in dieser Antrittsvorlesung im Gange, der die Entfaltung von Erkenntnis vorantreibt: Was regelt die Ordnung des Sprechens in diesem Moment, in dem ich spreche? Für die Diskursanalyse ist das Selbst dieser Selbstexemplifikation allerdings ein fragwürdiger Schauplatz. Und so hat die Diskursanalyse in den vergangenen Jahrzehnten zwar die Kulturwissenschaft als historische Praxis geprägt, nicht jedoch das Szenario des Vortragens verändert. Nichtsdestoweniger ist das, was ich im Folgenden vorschlagen möchte, nichts anderes als eine Diskursanalyse, bezogen jedoch auch auf den konkreten Diskurs, in dem man selbst präsentiert.  
  
 
Seit langem ist die Dominanz des ideengeschichtlichen Paradigmas, das Wissensentwicklung als einen mental gesteuerten Prozess vorstellte, gebrochen. Im Kontext der Diskursanalyse sind neue Forschungsrichtungen, wie die Mediengeschichte des Wissens oder die Geschichte der Experimentalsysteme, entstanden, und haben ein Spektrum von Wissenstechniken offengelegt, die einander beeinflussen, ersetzen, verwenden.  Forschung, so wurde in diesem Zusammenhang immer wieder nachgewiesen, schreibt sich im Versuch der Darstellung fort, weniger also in der Figuration einer ideengesteuerten These, die dann verifiziert würde, sondern eher entlang der Frage: Wie lassen sich wissenschaftliche Erkenntnisse aufzeichnen, aufbewahren, aktualisieren? Wie lässt sich Evidenz produzieren?   
 
Seit langem ist die Dominanz des ideengeschichtlichen Paradigmas, das Wissensentwicklung als einen mental gesteuerten Prozess vorstellte, gebrochen. Im Kontext der Diskursanalyse sind neue Forschungsrichtungen, wie die Mediengeschichte des Wissens oder die Geschichte der Experimentalsysteme, entstanden, und haben ein Spektrum von Wissenstechniken offengelegt, die einander beeinflussen, ersetzen, verwenden.  Forschung, so wurde in diesem Zusammenhang immer wieder nachgewiesen, schreibt sich im Versuch der Darstellung fort, weniger also in der Figuration einer ideengesteuerten These, die dann verifiziert würde, sondern eher entlang der Frage: Wie lassen sich wissenschaftliche Erkenntnisse aufzeichnen, aufbewahren, aktualisieren? Wie lässt sich Evidenz produzieren?   
 
Forschung ist also immer auch Darstellung. Doch berechtigt uns das zu dem Umkehrschluss, Darstellung sei auch Forschung?  
 
Forschung ist also immer auch Darstellung. Doch berechtigt uns das zu dem Umkehrschluss, Darstellung sei auch Forschung?  
  
Rhetorische und performative Wissenspoiesis  
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'''Rhetorische und performative Wissenspoiesis'''
Ein Blick in die Geschichte des wissenschaftlichen Vortrags ist ermutigend: In der Tat steht der Gedanke, dass Darstellung immer auch Forschung sei, im Zentrum des Entstehungszusammenhang der modernen Forschungsuniversität. Man müsse, so formuliert Humboldt, davon ausgehen, dass das Vortragen vor einer Menge mitdenkender Köpfe auch den Vortragenden zu neuen Erkenntnissen beflügelt.  Ergo: Universität statt Akademie – Einheit statt Trennung von Forschung und Lehre.  
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Ein Blick in die Geschichte des wissenschaftlichen Vortrags ist ermutigend: In der Tat steht der Gedanke, dass Darstellung immer auch Forschung sei, im Zentrum des Entstehungszusammenhang der modernen Forschungsuniversität. Man müsse, so formuliert Humboldt, davon ausgehen, dass das Vortragen vor einer Menge mitdenkender Köpfe auch den Vortragenden zu neuen Erkenntnissen beflügelt.  Ergo: Universität statt Akademie – Einheit statt Trennung von Forschung und Lehre (2).  
Im Umfeld der humboldtschen Universitätsreform häufen sich die Theoreme, wie diese Erkenntnisproduktion im Sinne einer „allmählichen Verfertigung der Gedanken beim Reden“ im einzelnen vonstatten geht. Dabei spielen Geistesblitze eine Rolle, Auf- und Entladungen – der Übergang zur Theorie von Elektrizität und Physiologie, wie sie sich im 19. Jahrhundert entwickelt, ist fließend.   
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Im Umfeld der humboldtschen Universitätsreform häufen sich die Theoreme, wie diese Erkenntnisproduktion im Sinne einer „allmählichen Verfertigung der Gedanken beim Reden“ im einzelnen vonstatten geht. Dabei spielen Geistesblitze eine Rolle, Auf- und Entladungen – der Übergang zur Theorie von Elektrizität und Physiologie, wie sie sich im 19. Jahrhundert entwickelt, ist fließend (3).   
  
Zugleich ruht die Debatte um die Wissenspoiesis des so genannten freien Vortrags auf rhetorischen Traditionen. Dabei steht der Begriff der Evidentia im Zentrum. Seit der Antike ist der Vortrag im Sinne der rhetorischen Actio mit der Figur der Evidentia verbunden. Evidentia ist dabei zunächst das Maß, in dem ein Vortrag zugleich eine Vergegenwärtigung dessen leistet, wovon er spricht. Ist dieses Maß voll, so kann das Publikum eines Vortrags eine zwingende Beziehung zwischen dem, was gesagt wird und dem, was sich dabei zeigt, bezeugen.   
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Zugleich ruht die Debatte um die Wissenspoiesis des so genannten freien Vortrags auf rhetorischen Traditionen. Dabei steht der Begriff der Evidentia im Zentrum. Seit der Antike ist der Vortrag im Sinne der rhetorischen Actio mit der Figur der Evidentia verbunden. Evidentia ist dabei zunächst das Maß, in dem ein Vortrag zugleich eine Vergegenwärtigung dessen leistet, wovon er spricht. Ist dieses Maß voll, so kann das Publikum eines Vortrags eine zwingende Beziehung zwischen dem, was gesagt wird und dem, was sich dabei zeigt, bezeugen (4).   
 
Da auch moderne wissenschaftliche Beweisführungen zumindest zum Teil auf den Traditionen rhetorischen Wissens aufruhen, basiert auch wissenschaftliche Evidenz auf dieser seit der Antike bekannten Figur der Evidentia. Man könnte sie als eine Form der performativen Evidenz bezeichnen, die etablierte Figuren des Beweisens und vor Augen Führens in actu mit körperlichen und medialen, affektiven und interaktiven Momenten verbindet.  Im Szenario des Vortrags als Vergegenwärtigung von Wissen wird dies erfahrbar: Welche Beziehungen zwischen Sagen und Zeigen werden hier sichtbar? Wie bringen sie Wissen als Wissen zur Erscheinung?  
 
Da auch moderne wissenschaftliche Beweisführungen zumindest zum Teil auf den Traditionen rhetorischen Wissens aufruhen, basiert auch wissenschaftliche Evidenz auf dieser seit der Antike bekannten Figur der Evidentia. Man könnte sie als eine Form der performativen Evidenz bezeichnen, die etablierte Figuren des Beweisens und vor Augen Führens in actu mit körperlichen und medialen, affektiven und interaktiven Momenten verbindet.  Im Szenario des Vortrags als Vergegenwärtigung von Wissen wird dies erfahrbar: Welche Beziehungen zwischen Sagen und Zeigen werden hier sichtbar? Wie bringen sie Wissen als Wissen zur Erscheinung?  
Dabei zeigt sich die irreduzible Rhetorizität aller Wahrheitsfindung in neuem Gewande, dem eines performativen Settings, das nicht nur Wort und Wahrheitswert, sondern Körper und Zeichen, Medien und Öffentlichkeiten umschließt. Die Rhetorizität des Wissens zeigt sich als Performativität des Wissens, das zugleich nicht mehr als ursprünglich körperlos gedacht wird, sondern „in Formen der Darstellung und inszenierten Wahrnehmungssituationen, in medialen Praktiken und auf sozialen Handlungsfeldern sowie in der Verschränkung von Künsten und Wissenschaften erst entsteht.“  
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Dabei zeigt sich die irreduzible Rhetorizität aller Wahrheitsfindung in neuem Gewande, dem eines performativen Settings, das nicht nur Wort und Wahrheitswert, sondern Körper und Zeichen, Medien und Öffentlichkeiten umschließt. Die Rhetorizität des Wissens zeigt sich als Performativität des Wissens, das zugleich nicht mehr als ursprünglich körperlos gedacht wird, sondern „in Formen der Darstellung und inszenierten Wahrnehmungssituationen, in medialen Praktiken und auf sozialen Handlungsfeldern sowie in der Verschränkung von Künsten und Wissenschaften erst entsteht.“ (5)
  
 
Also: Darstellung gleich Forschung?   
 
Also: Darstellung gleich Forschung?   
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Im nächsten Schritt wären dann einzelne Faktoren des Vortragsgeschehens zu isolieren und begründet zu variieren, um auf diese Weise Experimentalsituationen herzustellen.  
 
Im nächsten Schritt wären dann einzelne Faktoren des Vortragsgeschehens zu isolieren und begründet zu variieren, um auf diese Weise Experimentalsituationen herzustellen.  
 
Schließlich braucht es den Austausch und die Vernetzung von Forscher_innen, die mit entsprechenden Experimentalsituationen arbeiten.  
 
Schließlich braucht es den Austausch und die Vernetzung von Forscher_innen, die mit entsprechenden Experimentalsituationen arbeiten.  
Doch obwohl die nötigen Schritte leicht zu benennen sind, erweist es sich als nahezu unmöglich, sie innerhalb einer gegebenen wissenschaftlichen, also disziplinären Praxis tatsächlich zu gehen. Dies hängt nicht zuletzt mit dem genuin transdisziplinären Charakter zusammen, der die Wissenspoiesis in Präsentationszusammenhängen kennzeichnet. Die Wissenspoiesis der Präsentation speist sich aus einem Kontinuum von Evidenzerfahrungen, das die Grenzen disziplinärer Wissensproduktion notwendig überschreitet und umfasst. Die im Vortragsszenario gewonnen Erkenntnisse sind demnach etwas, das der disziplinären Vernunft notwendig zustößt. Sie haben Ereignischarakter. Nichtsdestoweniger kann man entsprechende Ereignisse hervorrufen, erwarten, auswerten. Nicht jedoch in den immer schon gegebenen Zurichtungen disziplinärer Evidenzproduktion. Habituelle Grenzen kommen hier ins Spiel, die dem Wissen selbst keineswegs äußerlich sind: Wissenschaftliche Vortragspraktiken sind konventionalisiert und stabilisiert, dazu eingerichtet, Aufmerksamkeit auf ganz bestimmte Prozesse der Wissensentstehung zu fokussieren, andere auszublenden. Das Präsentieren von Wissen als Experimentalsystem zu begreifen, erfordert daher eine transdisziplinäre Zusammenarbeit – eine Kooperation zwischen Wissenschaft und Kunst. Nahegelegt wird dies nicht zuletzt durch die Konjunktur, die Wissenspräsentationen und Lecture Performances im Kontext der szenischen Künste in den vergangenen fünfzehn Jahren erfahren haben.   
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Doch obwohl die nötigen Schritte leicht zu benennen sind, erweist es sich als nahezu unmöglich, sie innerhalb einer gegebenen wissenschaftlichen, also disziplinären Praxis tatsächlich zu gehen. Dies hängt nicht zuletzt mit dem genuin transdisziplinären Charakter zusammen, der die Wissenspoiesis in Präsentationszusammenhängen kennzeichnet. Die Wissenspoiesis der Präsentation speist sich aus einem Kontinuum von Evidenzerfahrungen, das die Grenzen disziplinärer Wissensproduktion notwendig überschreitet und umfasst. Die im Vortragsszenario gewonnen Erkenntnisse sind demnach etwas, das der disziplinären Vernunft notwendig zustößt. Sie haben Ereignischarakter. Nichtsdestoweniger kann man entsprechende Ereignisse hervorrufen, erwarten, auswerten. Nicht jedoch in den immer schon gegebenen Zurichtungen disziplinärer Evidenzproduktion. Habituelle Grenzen kommen hier ins Spiel, die dem Wissen selbst keineswegs äußerlich sind: Wissenschaftliche Vortragspraktiken sind konventionalisiert und stabilisiert, dazu eingerichtet, Aufmerksamkeit auf ganz bestimmte Prozesse der Wissensentstehung zu fokussieren, andere auszublenden. Das Präsentieren von Wissen als Experimentalsystem zu begreifen, erfordert daher eine transdisziplinäre Zusammenarbeit – eine Kooperation zwischen Wissenschaft und Kunst. Nahegelegt wird dies nicht zuletzt durch die Konjunktur, die Wissenspräsentationen und Lecture Performances im Kontext der szenischen Künste in den vergangenen fünfzehn Jahren erfahren haben (6).   
 
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Szenische Forschung an der Präsentation  
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Szenische Forschung an der Präsentation'''
 
Während Forschung und Darstellung im Sinne der Präsentation in der wissenschaftlichen Praxis im allgemeinen als getrennte Register gelten – erst die Forschung dann die Präsentation – steht in der künstlerischen Praxis außer Frage, dass die Arbeit an der Darstellung ein Forschungsprozess, ja, mehr noch: wesentlicher Teil der künstlerischen Forschung ist. Zeitgenössische szenische beziehungsweise performative Kunst geht dabei von der umfassenden Signifikanz all dessen aus, was auf der Szene erscheint. Kein Aspekt szenischer Performanz bleibt von vornherein von Betrachtung und Gestaltung ausgeklammert. Begreift man Präsentationen als Performances von Sagen, Zeigen und ihrer Kombination, umfasst die szenische Aufmerksamkeit idealiter alle möglichen Kombinationen von Sagen und Zeigen im Sinne eines Variationsspektrum. In der transdisziplinären Zusammenarbeit von Kunst und Wissenschaft gilt es daher, den weiten Blick und die entsprechende Gestaltungspalette der szenischen Aufmerksamkeit auf die Voreinstellungen zu beziehen, die Wissenspräsentationen heute prägen. Mit anderen Worten: Um forschungsrelevant zu sein, sollte szenische Variation möglichst präzise und differenziert bei den performativen Faktoren ansetzen, die Wissenspräsentationen außerhalb des Kunstkontexts jeweils ausmachen. Im Folgenden soll dies exemplarisch anhand eines dieser Faktoren – dem der Ansprache ¬– dargestellt werden.  
 
Während Forschung und Darstellung im Sinne der Präsentation in der wissenschaftlichen Praxis im allgemeinen als getrennte Register gelten – erst die Forschung dann die Präsentation – steht in der künstlerischen Praxis außer Frage, dass die Arbeit an der Darstellung ein Forschungsprozess, ja, mehr noch: wesentlicher Teil der künstlerischen Forschung ist. Zeitgenössische szenische beziehungsweise performative Kunst geht dabei von der umfassenden Signifikanz all dessen aus, was auf der Szene erscheint. Kein Aspekt szenischer Performanz bleibt von vornherein von Betrachtung und Gestaltung ausgeklammert. Begreift man Präsentationen als Performances von Sagen, Zeigen und ihrer Kombination, umfasst die szenische Aufmerksamkeit idealiter alle möglichen Kombinationen von Sagen und Zeigen im Sinne eines Variationsspektrum. In der transdisziplinären Zusammenarbeit von Kunst und Wissenschaft gilt es daher, den weiten Blick und die entsprechende Gestaltungspalette der szenischen Aufmerksamkeit auf die Voreinstellungen zu beziehen, die Wissenspräsentationen heute prägen. Mit anderen Worten: Um forschungsrelevant zu sein, sollte szenische Variation möglichst präzise und differenziert bei den performativen Faktoren ansetzen, die Wissenspräsentationen außerhalb des Kunstkontexts jeweils ausmachen. Im Folgenden soll dies exemplarisch anhand eines dieser Faktoren – dem der Ansprache ¬– dargestellt werden.  
Wissenspräsentationen richten sich an eine Öffentlichkeit – selten jedoch an eine vermeintlich allgemeine, viel häufiger an ganz bestimmte Öffentlichkeiten, an Fachöffentlichkeiten, an beruflich orientierte Öffentlichkeiten, an Öffentlichkeiten, die sich in einem bestimmten gesellschaftlichen Bereich engagieren, an diverse Bildungsöffentlichkeiten etc. . „Sich Richten An“ ist dabei ein komplexer Vorgang, in dem sowohl das Wissen als auch die entsprechende Öffentlichkeit als solche neu formatiert und partiell erst konstitutiert wird. Wissen und Öffentlichkeit bedingen einander. Im Sich Richten an eine bestimmte Öffentlichkeit wird das Wissen selbst als ein Bestimmtes erst bestimmbar.  Zugleich ist das Adressieren des Wissens aber auch immer ein teilweise imaginärer Vorgang, der die zu adressierende Öffentlichkeit niemals einfach vorfindet, sondern immer auch vorstellt. Im Moment der Adressierung ist die „bestimmte Öffentlichkeit“ immer auch Fiktion.  Die Art der Adressierung prägt das Wissen dabei nicht nur im Sinne beispielsweise der Wortwahl oder der ausgewählten Illustrationen, also im Hinblick auf das, was gesagt wird, und das, was gezeigt wird. Viel grundlegender wirkt sie sich auf das Verhältnis zwischen Gesagtem und Ungesagtem, Gezeigtem und Ungezeigten aus, denn mit der Vorstellung einer bestimmten Öffentlichkeit gehen immer auch Annahmen einher, was bekannt ist und was nicht, was Pointe, was Selbstverständlichkeit ist. In der Ansprache verbinden sich Wissen und Öffentlichkeit daher notwendig zu einer bestimmten Figuration von Evidenz. Auch die Geschichte des Wissens zeigt, das die Entstehung neuer Wissensformen immer mit der Entstehung neuer Öffentlichkeiten verbunden war.  
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Wissenspräsentationen richten sich an eine Öffentlichkeit – selten jedoch an eine vermeintlich allgemeine, viel häufiger an ganz bestimmte Öffentlichkeiten, an Fachöffentlichkeiten, an beruflich orientierte Öffentlichkeiten, an Öffentlichkeiten, die sich in einem bestimmten gesellschaftlichen Bereich engagieren, an diverse Bildungsöffentlichkeiten etc. . „Sich Richten An“ ist dabei ein komplexer Vorgang, in dem sowohl das Wissen als auch die entsprechende Öffentlichkeit als solche neu formatiert und partiell erst konstitutiert wird. Wissen und Öffentlichkeit bedingen einander. Im Sich Richten an eine bestimmte Öffentlichkeit wird das Wissen selbst als ein Bestimmtes erst bestimmbar (7).  Zugleich ist das Adressieren des Wissens aber auch immer ein teilweise imaginärer Vorgang, der die zu adressierende Öffentlichkeit niemals einfach vorfindet, sondern immer auch vorstellt (8). Im Moment der Adressierung ist die „bestimmte Öffentlichkeit“ immer auch Fiktion.  Die Art der Adressierung prägt das Wissen dabei nicht nur im Sinne beispielsweise der Wortwahl oder der ausgewählten Illustrationen, also im Hinblick auf das, was gesagt wird, und das, was gezeigt wird. Viel grundlegender wirkt sie sich auf das Verhältnis zwischen Gesagtem und Ungesagtem, Gezeigtem und Ungezeigten aus, denn mit der Vorstellung einer bestimmten Öffentlichkeit gehen immer auch Annahmen einher, was bekannt ist und was nicht, was Pointe, was Selbstverständlichkeit ist. In der Ansprache verbinden sich Wissen und Öffentlichkeit daher notwendig zu einer bestimmten Figuration von Evidenz. Auch die Geschichte des Wissens zeigt, das die Entstehung neuer Wissensformen immer mit der Entstehung neuer Öffentlichkeiten verbunden war.  
 
Eine Präsentation als Ansprache zu beobachten und experimentell zu betreiben, heißt dieses Verhältnis zwischen Gesagtem und Ungesagtem, Gezeigtem und Ungezeigtem als solches zur Erscheinung zu bringen und genau an dieser Grenze neues Wissen zu gewinnen, beispielsweise indem Selbstverständlichkeiten in Pointen verwandelt werden und umgekehrt.  
 
Eine Präsentation als Ansprache zu beobachten und experimentell zu betreiben, heißt dieses Verhältnis zwischen Gesagtem und Ungesagtem, Gezeigtem und Ungezeigtem als solches zur Erscheinung zu bringen und genau an dieser Grenze neues Wissen zu gewinnen, beispielsweise indem Selbstverständlichkeiten in Pointen verwandelt werden und umgekehrt.  
 
In der Praxis geschieht dies immer schon, wenn Forscher_innen gezielt unterschiedliche disziplinäre Kontexte aufsuchen, um ihre Thesen einmal an diesen, einmal an jenen Diskurszusammenhang zu richten. Das Feedback der jeweiligen Fachöffentlichkeit besteht dabei vor allem im Ereignis der Differenz zwischen der imaginierten zu adressierenden und der dann tatsächlich adressierten Öffentlichkeit. Es erschüttert Wissensfigurationen durch Grenzkonflikte zwischen Gesagtem und Ungesagtem, Gezeigtem und Vorausgesetztem. Präsentation als Forschung ist dies, sobald es wie im Eingangsbeispiel beschrieben, reflektiert, protokolliert und als Verfahren ernst genommen wird.  
 
In der Praxis geschieht dies immer schon, wenn Forscher_innen gezielt unterschiedliche disziplinäre Kontexte aufsuchen, um ihre Thesen einmal an diesen, einmal an jenen Diskurszusammenhang zu richten. Das Feedback der jeweiligen Fachöffentlichkeit besteht dabei vor allem im Ereignis der Differenz zwischen der imaginierten zu adressierenden und der dann tatsächlich adressierten Öffentlichkeit. Es erschüttert Wissensfigurationen durch Grenzkonflikte zwischen Gesagtem und Ungesagtem, Gezeigtem und Vorausgesetztem. Präsentation als Forschung ist dies, sobald es wie im Eingangsbeispiel beschrieben, reflektiert, protokolliert und als Verfahren ernst genommen wird.  
Die Unterschiede gegenüber gängiger wissenschaftlicher Praxis werden größer, sobald man sich gezielt an andere Öffentlichkeiten wendet, an solche also, die bisher nicht Adressat oder Träger des jeweiligen Wissens waren. In so einer neuen Adressierung wird es möglich, auch gegebene Wissensfigurationen neu zu ordnen und zu wenden. Gezielt neue Öffentlichkeiten aufzusuchen, vergrößert auch den Spielraum des Imaginären im Prozess des Adressierens – zwischen Planung und Durchführung fällt das Ereignis der Differenz größer aus. Im Rahmen der szenischen Vortragsperformance kann man in dieser Richtung bis zur Adressierung unwahrscheinlicher, bislang nicht-existenter, also annähernd fiktiver Öffentlichkeiten voranschreiten. Hierzu bedarf es meist der Markierung eines besonderen Rahmens wie beispielsweise in den Clubversammlungen der Autonomen Astronauten oder beim Kongress der Schwarzfahrer.  Wissenspräsentationen etablieren dann eine Öffentlichkeit auf Probe und können so auch ihre epistemischen Figuren am Inter-esse dieser Öffentlichkeit testen.
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Die Unterschiede gegenüber gängiger wissenschaftlicher Praxis werden größer, sobald man sich gezielt an andere Öffentlichkeiten wendet, an solche also, die bisher nicht Adressat oder Träger des jeweiligen Wissens waren. In so einer neuen Adressierung wird es möglich, auch gegebene Wissensfigurationen neu zu ordnen und zu wenden. Gezielt neue Öffentlichkeiten aufzusuchen, vergrößert auch den Spielraum des Imaginären im Prozess des Adressierens – zwischen Planung und Durchführung fällt das Ereignis der Differenz größer aus. Im Rahmen der szenischen Vortragsperformance kann man in dieser Richtung bis zur Adressierung unwahrscheinlicher, bislang nicht-existenter, also annähernd fiktiver Öffentlichkeiten voranschreiten. Hierzu bedarf es meist der Markierung eines besonderen Rahmens wie beispielsweise in den Clubversammlungen der Autonomen Astronauten oder beim Kongress der Schwarzfahrer (9).  Wissenspräsentationen etablieren dann eine Öffentlichkeit auf Probe und können so auch ihre epistemischen Figuren am Inter-esse dieser Öffentlichkeit testen.
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1 Foucault, Michel (1974): Die Ordnung des Diskurses. Inauguralvorlesung am Collège de France – 2. Dezember 1970. München.
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2 Humboldt, Wilhelm von (1810): „Über die Innere und äußere Organisation der höheren wissenschaftlichen Anstalten in Berlin“, in: Ders. (1964): Werke in fünf Bänden, Bd. 4, Darmstadt, S. 255-266.
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3 Vgl. Peters, Sibylle (2011): Der Vortrag als Performance. Bielefeld, S. 47 ff. und 83 ff.
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4 Campe, Rüdiger (2000): „Affizieren und Selbstaffizieren. Rhetorisch-anthropologische Näherung ausgehend von Quintilian ‚Institutio oratoria’ VI 1-2“, in: Kopperschmidt, Josef (Hg.): Rhetorische Anthropologie. Studien zum Homo rhetoricus. München, S.135-153; und ders. (2002): „’Unwahrscheinliche Wahrscheinlichkeit’ Evidenz im 18. Jahrhundert“, in: Borgards, Roland /Lehmann, Johannes F. (Hgg.): Diskrete Gebote. Geschichte der Macht um 1800. Würzburg.
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5 Vgl. Felfe, Robert: „Schauplätze des Wissens“, http://edoc.hu-berlin.de/kunsttexte/download/bwt/felfe-schauplatz.PDF (7.4.2013)
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6 Vgl. Kölner Kunstverein / Museum of Contemporary Art Belgrade (Hgg.) (2000): Lecture Performance. Köln, und Peters (a.a.O.) S. 179 ff.
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7 Vgl. z.B. Golinski, Jan (1992): Science as Public Culture. Chemistry and Enlightenment in Britain 1760-1820. Cambridge; Goschler Constantin (Hg.) (2000) Wissenschaft und Öffentlichkeit in Berlin 1870-1930. Göttingen.
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8 Vgl. Warner, Michael (2002): Publics and Counterpublics. New York.
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9 Informationen zum Club der Autonomen Astronauten. http://www.fundus-theater.de/forschungstheater/projekte/club-der-autonomen-astronauten/. Zum Kongress der Schwarzfahrer vgl. Peters a. a. O., S. 187 ff.

Aktuelle Version vom 8. Mai 2014, 12:44 Uhr

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