Präsentieren
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− | Präsentieren = Forschen? | + | '''Präsentieren = Forschen?''' |
Der vorliegende Artikel will herleiten, warum und wie sich das Präsentieren von Wissen als Forschungsverfahren begreifen und betreiben lässt. Ausgangspunkt dafür ist die wissenschaftliche Praxis des Vortragens. In dieser Praxis sind Präsentation und Forschung traditionell eng verbunden und doch in spezifischer Weise voneinander getrennt. Im Folgenden wird diese Trennung kritisch hinterfragt. Anschließend entwerfe ich Präsentieren als ein Verfahren transdisziplinären Forschens zwischen Kunst und Wissenschaft. | Der vorliegende Artikel will herleiten, warum und wie sich das Präsentieren von Wissen als Forschungsverfahren begreifen und betreiben lässt. Ausgangspunkt dafür ist die wissenschaftliche Praxis des Vortragens. In dieser Praxis sind Präsentation und Forschung traditionell eng verbunden und doch in spezifischer Weise voneinander getrennt. Im Folgenden wird diese Trennung kritisch hinterfragt. Anschließend entwerfe ich Präsentieren als ein Verfahren transdisziplinären Forschens zwischen Kunst und Wissenschaft. | ||
− | Vortragsanalyse als Diskursanalyse | + | '''Vortragsanalyse als Diskursanalyse''' |
Vorträge sind ein wichtiger und alltäglicher Teil wissenschaftlicher Praxis. Sie dienen dabei häufig als eine Art Interface zu anderen Teilen der wissenschaftlichen Praxis, die als zentral ausgewiesen werden, nämlich diejenigen, in denen das Wissen produziert wird: die Arbeit in Archiven oder im Labor, die Forschung im Feld und in der statistischen Auswertung oder am Rechner als Simulator. Im Vortrag wird demnach Wissen zusammengestellt und vermittelt, das sich im Verweis auf diese Praktiken der Wissensproduktion und der Verifikation als Wissen legitimiert. Um dies zu verdeutlichen, genügt es, sich einmal das Gegenteil vor Augen zu führen. Man stelle sich beispielsweise einen Historiker vor, der in einem Vortrag von einem Forschungsprojekt berichtet. Zunächst geht es um das Auffinden eines historischen Zusammenhangs in einer Reihe von Archiven. Dann setzt sich der Bericht folgendermaßen fort: | Vorträge sind ein wichtiger und alltäglicher Teil wissenschaftlicher Praxis. Sie dienen dabei häufig als eine Art Interface zu anderen Teilen der wissenschaftlichen Praxis, die als zentral ausgewiesen werden, nämlich diejenigen, in denen das Wissen produziert wird: die Arbeit in Archiven oder im Labor, die Forschung im Feld und in der statistischen Auswertung oder am Rechner als Simulator. Im Vortrag wird demnach Wissen zusammengestellt und vermittelt, das sich im Verweis auf diese Praktiken der Wissensproduktion und der Verifikation als Wissen legitimiert. Um dies zu verdeutlichen, genügt es, sich einmal das Gegenteil vor Augen zu führen. Man stelle sich beispielsweise einen Historiker vor, der in einem Vortrag von einem Forschungsprojekt berichtet. Zunächst geht es um das Auffinden eines historischen Zusammenhangs in einer Reihe von Archiven. Dann setzt sich der Bericht folgendermaßen fort: | ||
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Forschung ist also immer auch Darstellung. Doch berechtigt uns das zu dem Umkehrschluss, Darstellung sei auch Forschung? | Forschung ist also immer auch Darstellung. Doch berechtigt uns das zu dem Umkehrschluss, Darstellung sei auch Forschung? | ||
− | Rhetorische und performative Wissenspoiesis | + | '''Rhetorische und performative Wissenspoiesis''' |
Ein Blick in die Geschichte des wissenschaftlichen Vortrags ist ermutigend: In der Tat steht der Gedanke, dass Darstellung immer auch Forschung sei, im Zentrum des Entstehungszusammenhang der modernen Forschungsuniversität. Man müsse, so formuliert Humboldt, davon ausgehen, dass das Vortragen vor einer Menge mitdenkender Köpfe auch den Vortragenden zu neuen Erkenntnissen beflügelt. Ergo: Universität statt Akademie – Einheit statt Trennung von Forschung und Lehre. | Ein Blick in die Geschichte des wissenschaftlichen Vortrags ist ermutigend: In der Tat steht der Gedanke, dass Darstellung immer auch Forschung sei, im Zentrum des Entstehungszusammenhang der modernen Forschungsuniversität. Man müsse, so formuliert Humboldt, davon ausgehen, dass das Vortragen vor einer Menge mitdenkender Köpfe auch den Vortragenden zu neuen Erkenntnissen beflügelt. Ergo: Universität statt Akademie – Einheit statt Trennung von Forschung und Lehre. | ||
Im Umfeld der humboldtschen Universitätsreform häufen sich die Theoreme, wie diese Erkenntnisproduktion im Sinne einer „allmählichen Verfertigung der Gedanken beim Reden“ im einzelnen vonstatten geht. Dabei spielen Geistesblitze eine Rolle, Auf- und Entladungen – der Übergang zur Theorie von Elektrizität und Physiologie, wie sie sich im 19. Jahrhundert entwickelt, ist fließend. | Im Umfeld der humboldtschen Universitätsreform häufen sich die Theoreme, wie diese Erkenntnisproduktion im Sinne einer „allmählichen Verfertigung der Gedanken beim Reden“ im einzelnen vonstatten geht. Dabei spielen Geistesblitze eine Rolle, Auf- und Entladungen – der Übergang zur Theorie von Elektrizität und Physiologie, wie sie sich im 19. Jahrhundert entwickelt, ist fließend. | ||
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Schließlich braucht es den Austausch und die Vernetzung von Forscher_innen, die mit entsprechenden Experimentalsituationen arbeiten. | Schließlich braucht es den Austausch und die Vernetzung von Forscher_innen, die mit entsprechenden Experimentalsituationen arbeiten. | ||
Doch obwohl die nötigen Schritte leicht zu benennen sind, erweist es sich als nahezu unmöglich, sie innerhalb einer gegebenen wissenschaftlichen, also disziplinären Praxis tatsächlich zu gehen. Dies hängt nicht zuletzt mit dem genuin transdisziplinären Charakter zusammen, der die Wissenspoiesis in Präsentationszusammenhängen kennzeichnet. Die Wissenspoiesis der Präsentation speist sich aus einem Kontinuum von Evidenzerfahrungen, das die Grenzen disziplinärer Wissensproduktion notwendig überschreitet und umfasst. Die im Vortragsszenario gewonnen Erkenntnisse sind demnach etwas, das der disziplinären Vernunft notwendig zustößt. Sie haben Ereignischarakter. Nichtsdestoweniger kann man entsprechende Ereignisse hervorrufen, erwarten, auswerten. Nicht jedoch in den immer schon gegebenen Zurichtungen disziplinärer Evidenzproduktion. Habituelle Grenzen kommen hier ins Spiel, die dem Wissen selbst keineswegs äußerlich sind: Wissenschaftliche Vortragspraktiken sind konventionalisiert und stabilisiert, dazu eingerichtet, Aufmerksamkeit auf ganz bestimmte Prozesse der Wissensentstehung zu fokussieren, andere auszublenden. Das Präsentieren von Wissen als Experimentalsystem zu begreifen, erfordert daher eine transdisziplinäre Zusammenarbeit – eine Kooperation zwischen Wissenschaft und Kunst. Nahegelegt wird dies nicht zuletzt durch die Konjunktur, die Wissenspräsentationen und Lecture Performances im Kontext der szenischen Künste in den vergangenen fünfzehn Jahren erfahren haben. | Doch obwohl die nötigen Schritte leicht zu benennen sind, erweist es sich als nahezu unmöglich, sie innerhalb einer gegebenen wissenschaftlichen, also disziplinären Praxis tatsächlich zu gehen. Dies hängt nicht zuletzt mit dem genuin transdisziplinären Charakter zusammen, der die Wissenspoiesis in Präsentationszusammenhängen kennzeichnet. Die Wissenspoiesis der Präsentation speist sich aus einem Kontinuum von Evidenzerfahrungen, das die Grenzen disziplinärer Wissensproduktion notwendig überschreitet und umfasst. Die im Vortragsszenario gewonnen Erkenntnisse sind demnach etwas, das der disziplinären Vernunft notwendig zustößt. Sie haben Ereignischarakter. Nichtsdestoweniger kann man entsprechende Ereignisse hervorrufen, erwarten, auswerten. Nicht jedoch in den immer schon gegebenen Zurichtungen disziplinärer Evidenzproduktion. Habituelle Grenzen kommen hier ins Spiel, die dem Wissen selbst keineswegs äußerlich sind: Wissenschaftliche Vortragspraktiken sind konventionalisiert und stabilisiert, dazu eingerichtet, Aufmerksamkeit auf ganz bestimmte Prozesse der Wissensentstehung zu fokussieren, andere auszublenden. Das Präsentieren von Wissen als Experimentalsystem zu begreifen, erfordert daher eine transdisziplinäre Zusammenarbeit – eine Kooperation zwischen Wissenschaft und Kunst. Nahegelegt wird dies nicht zuletzt durch die Konjunktur, die Wissenspräsentationen und Lecture Performances im Kontext der szenischen Künste in den vergangenen fünfzehn Jahren erfahren haben. | ||
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− | Szenische Forschung an der Präsentation | + | Szenische Forschung an der Präsentation''' |
Während Forschung und Darstellung im Sinne der Präsentation in der wissenschaftlichen Praxis im allgemeinen als getrennte Register gelten – erst die Forschung dann die Präsentation – steht in der künstlerischen Praxis außer Frage, dass die Arbeit an der Darstellung ein Forschungsprozess, ja, mehr noch: wesentlicher Teil der künstlerischen Forschung ist. Zeitgenössische szenische beziehungsweise performative Kunst geht dabei von der umfassenden Signifikanz all dessen aus, was auf der Szene erscheint. Kein Aspekt szenischer Performanz bleibt von vornherein von Betrachtung und Gestaltung ausgeklammert. Begreift man Präsentationen als Performances von Sagen, Zeigen und ihrer Kombination, umfasst die szenische Aufmerksamkeit idealiter alle möglichen Kombinationen von Sagen und Zeigen im Sinne eines Variationsspektrum. In der transdisziplinären Zusammenarbeit von Kunst und Wissenschaft gilt es daher, den weiten Blick und die entsprechende Gestaltungspalette der szenischen Aufmerksamkeit auf die Voreinstellungen zu beziehen, die Wissenspräsentationen heute prägen. Mit anderen Worten: Um forschungsrelevant zu sein, sollte szenische Variation möglichst präzise und differenziert bei den performativen Faktoren ansetzen, die Wissenspräsentationen außerhalb des Kunstkontexts jeweils ausmachen. Im Folgenden soll dies exemplarisch anhand eines dieser Faktoren – dem der Ansprache ¬– dargestellt werden. | Während Forschung und Darstellung im Sinne der Präsentation in der wissenschaftlichen Praxis im allgemeinen als getrennte Register gelten – erst die Forschung dann die Präsentation – steht in der künstlerischen Praxis außer Frage, dass die Arbeit an der Darstellung ein Forschungsprozess, ja, mehr noch: wesentlicher Teil der künstlerischen Forschung ist. Zeitgenössische szenische beziehungsweise performative Kunst geht dabei von der umfassenden Signifikanz all dessen aus, was auf der Szene erscheint. Kein Aspekt szenischer Performanz bleibt von vornherein von Betrachtung und Gestaltung ausgeklammert. Begreift man Präsentationen als Performances von Sagen, Zeigen und ihrer Kombination, umfasst die szenische Aufmerksamkeit idealiter alle möglichen Kombinationen von Sagen und Zeigen im Sinne eines Variationsspektrum. In der transdisziplinären Zusammenarbeit von Kunst und Wissenschaft gilt es daher, den weiten Blick und die entsprechende Gestaltungspalette der szenischen Aufmerksamkeit auf die Voreinstellungen zu beziehen, die Wissenspräsentationen heute prägen. Mit anderen Worten: Um forschungsrelevant zu sein, sollte szenische Variation möglichst präzise und differenziert bei den performativen Faktoren ansetzen, die Wissenspräsentationen außerhalb des Kunstkontexts jeweils ausmachen. Im Folgenden soll dies exemplarisch anhand eines dieser Faktoren – dem der Ansprache ¬– dargestellt werden. | ||
Wissenspräsentationen richten sich an eine Öffentlichkeit – selten jedoch an eine vermeintlich allgemeine, viel häufiger an ganz bestimmte Öffentlichkeiten, an Fachöffentlichkeiten, an beruflich orientierte Öffentlichkeiten, an Öffentlichkeiten, die sich in einem bestimmten gesellschaftlichen Bereich engagieren, an diverse Bildungsöffentlichkeiten etc. . „Sich Richten An“ ist dabei ein komplexer Vorgang, in dem sowohl das Wissen als auch die entsprechende Öffentlichkeit als solche neu formatiert und partiell erst konstitutiert wird. Wissen und Öffentlichkeit bedingen einander. Im Sich Richten an eine bestimmte Öffentlichkeit wird das Wissen selbst als ein Bestimmtes erst bestimmbar. Zugleich ist das Adressieren des Wissens aber auch immer ein teilweise imaginärer Vorgang, der die zu adressierende Öffentlichkeit niemals einfach vorfindet, sondern immer auch vorstellt. Im Moment der Adressierung ist die „bestimmte Öffentlichkeit“ immer auch Fiktion. Die Art der Adressierung prägt das Wissen dabei nicht nur im Sinne beispielsweise der Wortwahl oder der ausgewählten Illustrationen, also im Hinblick auf das, was gesagt wird, und das, was gezeigt wird. Viel grundlegender wirkt sie sich auf das Verhältnis zwischen Gesagtem und Ungesagtem, Gezeigtem und Ungezeigten aus, denn mit der Vorstellung einer bestimmten Öffentlichkeit gehen immer auch Annahmen einher, was bekannt ist und was nicht, was Pointe, was Selbstverständlichkeit ist. In der Ansprache verbinden sich Wissen und Öffentlichkeit daher notwendig zu einer bestimmten Figuration von Evidenz. Auch die Geschichte des Wissens zeigt, das die Entstehung neuer Wissensformen immer mit der Entstehung neuer Öffentlichkeiten verbunden war. | Wissenspräsentationen richten sich an eine Öffentlichkeit – selten jedoch an eine vermeintlich allgemeine, viel häufiger an ganz bestimmte Öffentlichkeiten, an Fachöffentlichkeiten, an beruflich orientierte Öffentlichkeiten, an Öffentlichkeiten, die sich in einem bestimmten gesellschaftlichen Bereich engagieren, an diverse Bildungsöffentlichkeiten etc. . „Sich Richten An“ ist dabei ein komplexer Vorgang, in dem sowohl das Wissen als auch die entsprechende Öffentlichkeit als solche neu formatiert und partiell erst konstitutiert wird. Wissen und Öffentlichkeit bedingen einander. Im Sich Richten an eine bestimmte Öffentlichkeit wird das Wissen selbst als ein Bestimmtes erst bestimmbar. Zugleich ist das Adressieren des Wissens aber auch immer ein teilweise imaginärer Vorgang, der die zu adressierende Öffentlichkeit niemals einfach vorfindet, sondern immer auch vorstellt. Im Moment der Adressierung ist die „bestimmte Öffentlichkeit“ immer auch Fiktion. Die Art der Adressierung prägt das Wissen dabei nicht nur im Sinne beispielsweise der Wortwahl oder der ausgewählten Illustrationen, also im Hinblick auf das, was gesagt wird, und das, was gezeigt wird. Viel grundlegender wirkt sie sich auf das Verhältnis zwischen Gesagtem und Ungesagtem, Gezeigtem und Ungezeigten aus, denn mit der Vorstellung einer bestimmten Öffentlichkeit gehen immer auch Annahmen einher, was bekannt ist und was nicht, was Pointe, was Selbstverständlichkeit ist. In der Ansprache verbinden sich Wissen und Öffentlichkeit daher notwendig zu einer bestimmten Figuration von Evidenz. Auch die Geschichte des Wissens zeigt, das die Entstehung neuer Wissensformen immer mit der Entstehung neuer Öffentlichkeiten verbunden war. |