Sammeln

Aus A-Z der transziplinären Forschung
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In künstlerischen Forschungs- und Arbeitsprozessen verhält es sich ähnlich, auch hier wird signifikantes Material gesammelt, ausgewählt und für das eigene Arbeiten fruchtbar gemacht. Allerdings ergibt sich innerhalb der künstlerischen Arbeitsweise ein neues Spielfeld: Der Akt des Sammelns ist nicht mehr nur noch Ausgangspunkt einer Untersuchung und verschwindet hinter der Präsentation der eigenen Arbeit, sondern kann vielmehr als ästhetische Methode und Darstellungsform in die Präsentation selbst Einzug halten. Damit erschließt sich neuer Raum, der den Sammlungsakt selbst hinterfragt und ihn in ungewohnte Verhältnisse übersetzt. „Dokumentieren und archivieren evoziert die Vorstellung von wichtigen, offiziellen Dokumenten, die [...] für die Nachwelt Bestand haben.“  (Rieger : 256) In der ästhetischen Auseinandersetzung mit Darstellungsformen des Sammelns erschließen Künstlerlinnen neue Sichtweisen auf Altbekanntes, indem sie etwa klassische Sammlungsformen auf ihre Hierarchisierung hin überprüfen oder Banales und Unbeachtetes in den Fokus der Betrachtung stellen und so bestehende Auswahlverfahren zu kolportieren.  
 
In künstlerischen Forschungs- und Arbeitsprozessen verhält es sich ähnlich, auch hier wird signifikantes Material gesammelt, ausgewählt und für das eigene Arbeiten fruchtbar gemacht. Allerdings ergibt sich innerhalb der künstlerischen Arbeitsweise ein neues Spielfeld: Der Akt des Sammelns ist nicht mehr nur noch Ausgangspunkt einer Untersuchung und verschwindet hinter der Präsentation der eigenen Arbeit, sondern kann vielmehr als ästhetische Methode und Darstellungsform in die Präsentation selbst Einzug halten. Damit erschließt sich neuer Raum, der den Sammlungsakt selbst hinterfragt und ihn in ungewohnte Verhältnisse übersetzt. „Dokumentieren und archivieren evoziert die Vorstellung von wichtigen, offiziellen Dokumenten, die [...] für die Nachwelt Bestand haben.“  (Rieger : 256) In der ästhetischen Auseinandersetzung mit Darstellungsformen des Sammelns erschließen Künstlerlinnen neue Sichtweisen auf Altbekanntes, indem sie etwa klassische Sammlungsformen auf ihre Hierarchisierung hin überprüfen oder Banales und Unbeachtetes in den Fokus der Betrachtung stellen und so bestehende Auswahlverfahren zu kolportieren.  
Sammlungen als Darstellungsform finden sich vornehmlich in der Bildenden Kunst wieder, häufig wird in strengen Typologien gesammelt und in seriellen Anordnungen ausgestellt, wie beispielsweise in der Arbeit ''I wear them all'' von San Keller, einem Projekt, bei dem Keller alle Sonnenbrillen des römischen Brillengeschäfts Ottica Aventino anprobiert und daraus eine Serie von Selbstportraits entwickelt. Oder aber in ''Fabiola'', einer Arbeit von Francis Alÿs, für die er 300 unterschiedliche Portraits der heiligen Fabiola – die nach gleichem Muster gemalt wurden, aber unterschiedlich ausgeführt sind – über 15 Jahre hinweg sammelte, um sie dann in einer Ausstellung gemeinsam zu präsentieren. Ebenso wird das Archiv als Gegenstand und Präsentationsform für künstlerische Auseinandersetzungen gewählt, wie beispielsweise in den Arbeiten von Christian Boltanski oder Dong Song. Weitere KünstlerInnen die sich mit  Sammeln als Arbeits- und Präsentationsform beschäftigen sind On Kawara, Annette Messanger, Sophie Calle, Claes Oldenburg, Fischli/Weiss oder Hanna Höch, um nur einige zu nennen.  
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Sammlungen als Darstellungsform finden sich vornehmlich in der Bildenden Kunst wieder, häufig wird in strengen Typologien gesammelt und in seriellen Anordnungen ausgestellt, wie beispielsweise in der Arbeit ''I wear them all'' von San Keller, einem Projekt, bei dem Keller alle Sonnenbrillen des römischen Brillengeschäfts Ottica Aventino anprobiert und daraus eine Serie von Selbstportraits entwickelt. Oder aber in ''Fabiola'', einer Arbeit von Francis Alÿs, für die er 300 unterschiedliche Portraits der heiligen Fabiola – die nach gleichem Muster gemalt wurden, aber unterschiedlich ausgeführt sind – über 15 Jahre hinweg sammelte, um sie dann in einer Ausstellung gemeinsam zu präsentieren. Ebenso wird das Archiv als Gegenstand und Präsentationsform für künstlerische Auseinandersetzungen gewählt, wie beispielsweise in den Arbeiten von Christian Boltanski oder Dong Song. Weitere KünstlerInnen die sich mit  Sammeln als Arbeits- und Präsentationsform beschäftigen sind On Kawara, Annette Messanger, Sophie Calle, Claes Oldenburg, Fischli/Weiss oder Hanna Höch, um nur einige zu nennen.
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Weit weniger untersucht sind Sammlungsformate, deren Darstellungsformen in den performativen Künsten zu finden sind, exemplarisch in den Projekten von Ivana Müller, die in einer ihrer Arbeiten mit dem Titel ''While we are holding it together'' fünf Performer in einem strengen und fast unbeweglichem Tableau auf der Bühne anordnet und diese mit dem immergleichen Satzanfang „I imagine ...“ eine Sammlung von möglichen Szenarien beschreiben lässt, die sich über die Körperhaltungen der Performer legen. Oder bei Tim Etchells, der in seinem Projekt ''That night follows day'' Kinder unterschiedlichsten Alters an die Bühnenrampe stellt und sie einzeln oder im Chor eine Sammlung von Welterklärungen und Verboten, die Erwachsene gegenüber Kindern formulieren, deklinieren lässt. Auch in der letzten Bühnenarbeit ''Bouncing in Bavaria'' von Auftrag : Lorey bedienen wir uns der Sammlung als Darstellungsform, in dem wir die persönlichen Erinnerungen von Traute Hoess und Felix von Manteuffel zu einem Aufführungstext zusammenführen, dessen Grundstruktur die stetig wiederkehrende Aussage „Ich erinnere mich...“ legt. Ebenso lassen sich Sammlungen als Darstellungsform beispielweise in den Arbeiten von Forced Entertainment, Wagner/Feigl Forschung, Jerome Bel oder Rimini Protokoll wiederfinden.
 
Weit weniger untersucht sind Sammlungsformate, deren Darstellungsformen in den performativen Künsten zu finden sind, exemplarisch in den Projekten von Ivana Müller, die in einer ihrer Arbeiten mit dem Titel ''While we are holding it together'' fünf Performer in einem strengen und fast unbeweglichem Tableau auf der Bühne anordnet und diese mit dem immergleichen Satzanfang „I imagine ...“ eine Sammlung von möglichen Szenarien beschreiben lässt, die sich über die Körperhaltungen der Performer legen. Oder bei Tim Etchells, der in seinem Projekt ''That night follows day'' Kinder unterschiedlichsten Alters an die Bühnenrampe stellt und sie einzeln oder im Chor eine Sammlung von Welterklärungen und Verboten, die Erwachsene gegenüber Kindern formulieren, deklinieren lässt. Auch in der letzten Bühnenarbeit ''Bouncing in Bavaria'' von Auftrag : Lorey bedienen wir uns der Sammlung als Darstellungsform, in dem wir die persönlichen Erinnerungen von Traute Hoess und Felix von Manteuffel zu einem Aufführungstext zusammenführen, dessen Grundstruktur die stetig wiederkehrende Aussage „Ich erinnere mich...“ legt. Ebenso lassen sich Sammlungen als Darstellungsform beispielweise in den Arbeiten von Forced Entertainment, Wagner/Feigl Forschung, Jerome Bel oder Rimini Protokoll wiederfinden.
Anlässlich der Ausstellung Deep Storage – Arsenale der Erinnerung fasst Matthias Winzen die Gegenüberstellung von wissenschaftlichen zu künstlerischen Sammlungsstrategien noch einmal zusammen, in dem er schreibt:
 
  
„Während eine konventionelle Sammlung das ausbreitet, ausfüllt und ergänzt, was Thema und Gegenstand dieser konkreten Sammlung ist (Schmetterlinge, Bücher, Dokumente), verläuft das künstlerische Sammeln offener, weniger zielgewiss, reflektierter, in sich gebrochener. [...] Dabei sammeln Künstler zunächst so, wie jeder sammelt. Aber zusätzlich achten sie auf die Rückseiten und Ränder, das Absurde und das Vernachlässigte beim Sammeln, Speichern und Archivieren. Das Interesse an dem, was beim Sammeln nie ganz aufgeht, hält die künstlerische Rückgewinnung von Fragwürdigkeit hinter den Selbstverständlichkeiten des Sammelns in Gang“  (Winzen 1997 : 10).
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Anlässlich der Ausstellung ''Deep Storage – Arsenale der Erinnerung'' fasst Matthias Winzen die Gegenüberstellung von wissenschaftlichen zu künstlerischen Sammlungsstrategien noch einmal zusammen, in dem er schreibt: „Während eine konventionelle Sammlung das ausbreitet, ausfüllt und ergänzt, was Thema und Gegenstand dieser konkreten Sammlung ist (Schmetterlinge, Bücher, Dokumente), verläuft das künstlerische Sammeln offener, weniger zielgewiss, reflektierter, in sich gebrochener. [...] Dabei sammeln Künstler zunächst so, wie jeder sammelt. Aber zusätzlich achten sie auf die Rückseiten und Ränder, das Absurde und das Vernachlässigte beim Sammeln, Speichern und Archivieren. Das Interesse an dem, was beim Sammeln nie ganz aufgeht, hält die künstlerische Rückgewinnung von Fragwürdigkeit hinter den Selbstverständlichkeiten des Sammelns in Gang“  (Winzen 1997 : 10).
  
 
Sammeln als Arbeitsmethode ist – wie sich gezeigt hat – elementarer Bestandteil in wissenschaftlichen und künstlerischen Prozessen. Als ästhetische Arbeitsweise und Darstellungsform bietet es ferner die Möglichkeit, tradierte Sammlungsformen zu hinterfragen und neue Strategien des Sammelns zu entwerfen. Da der Akt des Sammelns impliziert, sich auf eine bestimmte Weise Welt anzueignen und zu verstehen, schaffen neue künstlerische Sammlungsstrategien ungewohnte Horizonte auf vermeintlich Altbekanntes.  
 
Sammeln als Arbeitsmethode ist – wie sich gezeigt hat – elementarer Bestandteil in wissenschaftlichen und künstlerischen Prozessen. Als ästhetische Arbeitsweise und Darstellungsform bietet es ferner die Möglichkeit, tradierte Sammlungsformen zu hinterfragen und neue Strategien des Sammelns zu entwerfen. Da der Akt des Sammelns impliziert, sich auf eine bestimmte Weise Welt anzueignen und zu verstehen, schaffen neue künstlerische Sammlungsstrategien ungewohnte Horizonte auf vermeintlich Altbekanntes.  
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In einem Interview zu Methoden und Ausführungen bezüglich seiner künstlerischen Sammeltätigkeit gibt Peter Piller <ref>Zur Arbeitsweise Pillers siehe auch: „Vorzüge der Absichtslosigkeit. Peter Piller und seine Bildarchive“, in Seyfarth, Ludwig: Unsichtbare Sammlungen, Philo Fine Arts, Hamburg 2008.</ref> dafür schlussendlich eine anschauliche Beschreibung:
 
In einem Interview zu Methoden und Ausführungen bezüglich seiner künstlerischen Sammeltätigkeit gibt Peter Piller <ref>Zur Arbeitsweise Pillers siehe auch: „Vorzüge der Absichtslosigkeit. Peter Piller und seine Bildarchive“, in Seyfarth, Ludwig: Unsichtbare Sammlungen, Philo Fine Arts, Hamburg 2008.</ref> dafür schlussendlich eine anschauliche Beschreibung:
  

Aktuelle Version vom 22. März 2013, 12:28 Uhr

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