Beschreiben

Aus A-Z der transziplinären Forschung
Wechseln zu: Navigation, Suche
(BESCHREIBEN)
 
Zeile 4: Zeile 4:
  
  
Die Tätigkeit des Beschreibens kann in vieler Hinsicht als ein produktives Verfahren im Bereich transdisziplinärer Forschung angesehen werden. In seiner konjugierbaren Veränderbarkeit stellt das Verb beschreiben gleich mehrere Vorgänge und Zustände dar: sowohl schriftliche als auch mündliche, sowohl persönliche als auch kollektive, sowohl intentionale als auch materielle. Allerdings geht es in den folgenden Ausführungen weniger um theoretische Konzepte und wissenschaftliche Methoden, als um verschiedene konkrete Ansätze, die insbesondere in der Praxis der performativen Künste angewendet werden. Im Zentrum steht dabei sowohl die Darstellung exemplarischer Einzelfälle als auch die Ethik die jeweils dem Akt des Beschreibens zugrunde liegt. Ähnlich wie bei der von Clifford Geertz für die ethnologische Feldforschung begründete ’Dichte Beschreibung’ (thick description) ist keiner der praktischen Ansätzen darauf aus, universalistische Aussagen zu treffen, vielmehr soll mit Hilfe qualitativer Beobachtung und Analyse kultureller Systeme gerade das ’lokale Wissen’ anerkannt und beschrieben werden. <ref>Vergl. Geertz, Clifford (1973): Thick Description, Toward an Interpretive Theory of Culture. In: Ders., The Interpretation of Culture, Selected essays, New York, S. 3-30.</ref> Gehandelt wird nach einem offenen Kulturbegriff, bei dem soziale und kulturelle Phänomene ständig neuen Interpretationen unterliegen und ihre Deutung (oder vielmehr ihre zeichenhafte Bedeutung) jeweils untrennbar mit einem spezifischen Kontext und einer bestimmten Perspektive verbunden ist.
+
Die Tätigkeit des ''Beschreibens'' kann in vieler Hinsicht als ein produktives Verfahren im Bereich transdisziplinärer Forschung angesehen werden. In seiner konjugierbaren Veränderbarkeit stellt das Verb ''beschreiben'' gleich mehrere Vorgänge und Zustände dar: sowohl schriftliche als auch mündliche, sowohl persönliche als auch kollektive, sowohl intentionale als auch materielle. Allerdings geht es in den folgenden Ausführungen weniger um theoretische Konzepte und wissenschaftliche Methoden, als um verschiedene konkrete Ansätze, die insbesondere in der Praxis der performativen Künste angewendet werden. Im Zentrum steht dabei sowohl die Darstellung exemplarischer Einzelfälle als auch die Ethik die jeweils dem Akt des ''Beschreibens'' zugrunde liegt. Ähnlich wie bei der von Clifford Geertz für die ethnologische Feldforschung begründete ’Dichte Beschreibung’ (thick description) ist keiner der praktischen Ansätzen darauf aus, universalistische Aussagen zu treffen, vielmehr soll mit Hilfe qualitativer Beobachtung und Analyse kultureller Systeme gerade das ’lokale Wissen’ anerkannt und beschrieben werden. <ref>Vergl. Geertz, Clifford (1973): Thick Description, Toward an Interpretive Theory of Culture. In: Ders., The Interpretation of Culture, Selected essays, New York, S. 3-30.</ref> Gehandelt wird nach einem offenen Kulturbegriff, bei dem soziale und kulturelle Phänomene ständig neuen Interpretationen unterliegen und ihre Deutung (oder vielmehr ihre zeichenhafte Bedeutung) jeweils untrennbar mit einem spezifischen Kontext und einer bestimmten Perspektive verbunden ist.
  
  
 
'''1 Bezugspunkt, Sprache, Existenz'''
 
'''1 Bezugspunkt, Sprache, Existenz'''
  
Ein großer Tisch beim Felix Meritis Theater unterm Dach, mit Aussicht auf Amsterdam. Eine Art Klausur. Vielleicht sogar eine Zäsur. Es gibt nur diese Vermutung dass etwas Neues passiert, dass sich das Theater sich auf neuartige Weise offenbart, neue Dramaturgien erforscht. So fremd, so anders, dass noch kaum darüber gesprochen werden kann. Dass auf jeden Fall die bisher nützlichen Worte unzureichend erscheinen und aufgehört haben zu funktionieren. In Amsterdam, in Berlin, in Frankfurt, in Wien und vor allem auch in Brüssel, überall da wo seit geraumer Zeit Europäisch koproduziert wurde und wo das einschlägige Fachblatt Theaterschrift gewirkt hat.<ref>Theaterschrift ist eine viersprachige Publikation, die von 1993-1998 unter redaktioneller Leitung von Marianne van Kerkhoven von mehreren europäischen Koproduzenten herausgegeben wurde: Kaaitheater/Brüssel, Hebbel Theater/Berlin, Theater am Turm/Frankfurt am Main, Felix Meritis/Amsterdam, Wiener Festwochen/Wien.</ref>. Beteiligt sind die Vertreter einer neuen Generation: Marianne van Kerkhoven, Knut Ove Arntzen, Dragan Klaiç, Josette Féral, Jean-Marc Adolphe, Ritsaert ten Cate, Erwin Jans... und auch Hans-Thies Lehmann, der 1993 noch wie alle mit den Begriffen ringt und sich noch nicht auf diesen einen festgelegt hat.  
+
Ein großer Tisch beim Felix Meritis Theater unterm Dach, mit Aussicht auf Amsterdam. Eine Art Klausur. Vielleicht sogar eine Zäsur. Es gibt nur diese Vermutung dass etwas Neues passiert, dass sich das Theater sich auf neuartige Weise offenbart, neue Dramaturgien erforscht. So fremd, so anders, dass noch kaum darüber gesprochen werden kann. Dass auf jeden Fall die bisher nützlichen Worte unzureichend erscheinen und aufgehört haben zu funktionieren. In Amsterdam, in Berlin, in Frankfurt, in Wien und vor allem auch in Brüssel, überall da wo seit geraumer Zeit europäisch koproduziert wurde und wo das einschlägige Fachblatt Theaterschrift gewirkt hat.<ref>Theaterschrift ist eine viersprachige Publikation, die von 1993-1998 unter redaktioneller Leitung von Marianne van Kerkhoven von mehreren europäischen Koproduzenten herausgegeben wurde: Kaaitheater/Brüssel, Hebbel Theater/Berlin, Theater am Turm/Frankfurt am Main, Felix Meritis/Amsterdam, Wiener Festwochen/Wien.</ref>. Beteiligt sind die Vertreter einer neuen Generation: Marianne van Kerkhoven, Knut Ove Arntzen, Dragan Klaiç, Josette Féral, Jean-Marc Adolphe, Ritsaert ten Cate, Erwin Jans... und auch Hans-Thies Lehmann, der 1993 noch wie alle mit den Begriffen ringt und sich noch nicht auf diesen einen festgelegt hat.  
  
Es herrscht viel Schweigen, Ansätze werden ausprobiert. Man hat Zeit, und eigentlich kein Ziel, nur den Wunsch nach einer Form. Die Idee war schließlich einfach. Man wird sich auf die Suche machen nach einem neuen Vokabular, neuen Stichwörtern und Denkbildern. Spielerisch, subjektiv, aufgereiht, eingesammelt, unredigiert. Es gilt ein offenes Wörterbuch zu erstellen, in dem alle Betrachtungen nebeneinander bestehen dürfen und alles gezeigt werden kann. Die einzige Prämisse ist: es muss beschrieben werden WAS IST und nicht – ex negativo - was NICHT ist. Kein Anti-Theater. Sondern selbstbewusste Behauptungen. Anschließend gab es Vieles. Erfindungen und Neuinterpretationen. Versuche und Definitionen. Absence zum Beispiel. „With it maybe the following words might be added: respect, sensuality, homework, subtlety, tenderness, calmth, dignity, patience. Warmly recommended.“ (Ten Cate 1994: 37)
+
Es herrscht viel Schweigen, Ansätze werden ausprobiert. Man hat Zeit, und eigentlich kein Ziel, nur den Wunsch nach einer Form. Die Idee war schließlich einfach. Man wird sich auf die Suche machen nach einem neuen Vokabular, neuen Stichwörtern und Denkbildern. Spielerisch, subjektiv, aufgereiht, eingesammelt, unredigiert. Es gilt ein offenes Wörterbuch zu erstellen, in dem alle Betrachtungen nebeneinander bestehen dürfen und alles gezeigt werden kann. Die einzige Prämisse ist: es muss beschrieben werden WAS IST und nicht – ex negativo - was NICHT ist. Kein Anti-Theater. Sondern selbstbewusste Behauptungen. Anschließend gab es Vieles. Erfindungen und Neuinterpretationen. Versuche und Definitionen. Absence zum Beispiel. „With it maybe the following words might be added: respect, sensuality, homework, subtlety, tenderness, calmth, dignity, patience. Warmly recommended“ (Ten Cate 1994: 37).
  
Entstanden ist letztendlich die enzyklopädische Publikation ’Theaterschrift 5-6, Über Dramaturgie’ und der entschiedene Wunsch, dem neuen Theater eine Sprache zu geben. Der belgische Dramaturg Erwin Jans hat damals notiert: „Erhält man eine Sprache, so erhält man eine Existenz, einen Bezugspunkt, eine Möglichkeit zum Dialog und zur Entwicklung.“ (Jans 1994: 52)
+
Entstanden ist letztendlich die enzyklopädische Publikation ’Theaterschrift 5-6, Über Dramaturgie’ und der entschiedene Wunsch, dem neuen Theater eine Sprache zu geben. Der belgische Dramaturg Erwin Jans hat damals notiert: „Erhält man eine Sprache, so erhält man eine Existenz, einen Bezugspunkt, eine Möglichkeit zum Dialog und zur Entwicklung“ (Jans 1994: 52).
  
  
 
'''2 Von Landschaft zu Interaktion'''
 
'''2 Von Landschaft zu Interaktion'''
  
„Eine Landschaft zwischen Steppe und Savanne, der Himmel preußisch blau, zwei riesige Wolken schwimmen darin, wie von Drahtskeletten zusammengehalten, jedenfalls von unbekannter Bauart, die linke größere könnte ein Gummitier aus einem Vergnügungspark sein, das sich von seiner Leine losgerissen hat, oder ein Stück Antarktis auf dem Heimflug, am Horizont ein flaches Gebirge, rechts in der Landschaft ein Baum, bei genauerem Hinsehen sind es drei verschieden hohe Bäume, pilzförmig, Stamm neben Stamm, vielleicht aus einer Wurzel, das Haus im Vordergrund mehr Industrieprodukt als Handwerk, wahrscheinlich Beton...“ (Müller 1985: 7) Heiner Müller, nennt seinen Theatertext Bildbeschreibung eine Übermalung. Fern von dem statischen Realismus klassischer Landschaftsmalerei findet er in der Beschreibung einer Zeichnung Freiräume für eine prozesshafte Entwicklung. Ein Bild stellt das andere in Frage, die Optiken wechseln, bis der Betrachter selbst in Frage gestellt wird: „Das kann jeder machen, mehr oder weniger gut und jeder anders. Die avancierteste Kunst ist die demokratischste, jeder Mensch kann ein Bild beschreiben, die Beschreibung produziert neue Bilder, es ist ein Spielmodell.“ (Müller 1992: 343)
+
„Eine Landschaft zwischen Steppe und Savanne, der Himmel preußisch blau, zwei riesige Wolken schwimmen darin, wie von Drahtskeletten zusammengehalten, jedenfalls von unbekannter Bauart, die linke größere könnte ein Gummitier aus einem Vergnügungspark sein, das sich von seiner Leine losgerissen hat, oder ein Stück Antarktis auf dem Heimflug, am Horizont ein flaches Gebirge, rechts in der Landschaft ein Baum, bei genauerem Hinsehen sind es drei verschieden hohe Bäume, pilzförmig, Stamm neben Stamm, vielleicht aus einer Wurzel, das Haus im Vordergrund mehr Industrieprodukt als Handwerk, wahrscheinlich Beton...“ (Müller 1985: 7). Heiner Müller, nennt seinen Theatertext Bildbeschreibung eine Übermalung. Fern von dem statischen Realismus klassischer Landschaftsmalerei findet er in der Beschreibung einer Zeichnung Freiräume für eine prozesshafte Entwicklung. Ein Bild stellt das andere in Frage, die Optiken wechseln, bis der Betrachter selbst in Frage gestellt wird: „Das kann jeder machen, mehr oder weniger gut und jeder anders. Die avancierteste Kunst ist die demokratischste, jeder Mensch kann ein Bild beschreiben, die ''Beschreibung'' produziert neue Bilder, es ist ein Spielmodell“ (Müller 1992: 343).
  
Der Autor Müller mag einsam an seinem Schreibtisch gesessen haben. Und auch die Theaterschrift Enzyklopädie hat vom Ereignis losgelöste Textdokumente hinterlassen. Erweitern lässt sich das Verfahren des Beschreibens vor allem als Teil einer sozialen Interaktion. Als regelrechte Vermittlungsarbeit bei ungewöhnlichen Kooperationen. Da, wo eine unerprobte Gruppe aufeinandertrifft, die ein bestimmtes Interesse miteinander teilt. Wo Zusammenarbeit allerdings auch immer mit Unverständnis und Klärungsbedarf einher geht.  
+
Der Autor Müller mag einsam an seinem Schreibtisch gesessen haben. Und auch die Theaterschrift Enzyklopädie hat vom Ereignis losgelöste Textdokumente hinterlassen. Erweitern lässt sich das Verfahren des ''Beschreibens'' vor allem als Teil einer sozialen Interaktion. Als regelrechte Vermittlungsarbeit bei ungewöhnlichen Kooperationen. Da, wo eine unerprobte Gruppe aufeinandertrifft, die ein bestimmtes Interesse miteinander teilt. Wo Zusammenarbeit allerdings auch immer mit Unverständnis und Klärungsbedarf einher geht.  
Beschreiben ist dabei ein unerlässliches Gesprächsangebot. Ein kurzfristiges Benennen. Eine Einladung zur Darstellung. Definitionen werden herausgezögert. Noch muss niemand überzeugt werden. Es braucht keinen Konsens. Eher Neugierde, Widerspruch, Gegensätze, die die Auseinandersetzung herausfordern. Warum soll man sich das nicht ganz praktisch vor Augen führen? Bruno Latour stellt sich in Science in Action eine Reihe von Situationen vor, in denen er sich den Umständen widmet unter denen Wissenschaftler gehandelt haben und wissenschaftliche Ergebnisse zustande gekommen sind. Nicht das Resultat steht im Mittelpunkt seiner Umschreibungen sondern die sozialen Momente „before the box closes and becomes black“. (Latour 1987: 21)
+
Beschreiben ist dabei ein unerlässliches Gesprächsangebot. Ein kurzfristiges Benennen. Eine Einladung zur Darstellung. Definitionen werden herausgezögert. Noch muss niemand überzeugt werden. Es braucht keinen Konsens. Eher Neugierde, Widerspruch, Gegensätze, die die Auseinandersetzung herausfordern. Warum soll man sich das nicht ganz praktisch vor Augen führen? Bruno Latour stellt sich in ''Science in Action'' eine Reihe von Situationen vor, in denen er sich den Umständen widmet unter denen Wissenschaftler gehandelt haben und wissenschaftliche Ergebnisse zustande gekommen sind. Nicht das Resultat steht im Mittelpunkt seiner Umschreibungen sondern die sozialen Momente „before the box closes and becomes black“ (Latour 1987: 21).
  
 
Eine hybride Gruppe von Künstler und Theoretikern begegnen einander in unregelmäßigen Abständen zur gemeinsamen Arbeit im Studio. Mal in Amsterdam, London, Madrid, Graz, oder in PAF. Paz Rojo, Manuela Zechner und Anja Kanngieser veranstalten seit 2008 sogenannte Vocabulaboratories: kollektive Zusammenkünfte in denen Begrifflichkeiten aus der Praxis heraus entwickelt werden. Täglich werden als Teil der Performancearbeit ’Entries’ und ’Access Points’ notiert, Zeichnungen angefertigt, Skizzen gemacht, subjektive Erfahrungen und Erkenntnisse aufgezeichnet und direkt in einem gemeinsamen Wiki füreinander bereitgestellt: a vocabulary of doing. Wechselwirkung und Gegenseitigkeit sind hier der zentrale Motor, um mit Hilfe von Worten und Bildern aus sich heraus zu treten.  
 
Eine hybride Gruppe von Künstler und Theoretikern begegnen einander in unregelmäßigen Abständen zur gemeinsamen Arbeit im Studio. Mal in Amsterdam, London, Madrid, Graz, oder in PAF. Paz Rojo, Manuela Zechner und Anja Kanngieser veranstalten seit 2008 sogenannte Vocabulaboratories: kollektive Zusammenkünfte in denen Begrifflichkeiten aus der Praxis heraus entwickelt werden. Täglich werden als Teil der Performancearbeit ’Entries’ und ’Access Points’ notiert, Zeichnungen angefertigt, Skizzen gemacht, subjektive Erfahrungen und Erkenntnisse aufgezeichnet und direkt in einem gemeinsamen Wiki füreinander bereitgestellt: a vocabulary of doing. Wechselwirkung und Gegenseitigkeit sind hier der zentrale Motor, um mit Hilfe von Worten und Bildern aus sich heraus zu treten.  
  
Diese Dynamik bringt eine Bewegung zustande, in der Beschreibungen wie Gespräche funktionieren. Zwischen der eigenen Person und einem anderen. Zwischen dem Gegenüber und dem Selbst. Beschreibungen sind hier kein losgelöstes Ziel, sondern Mittel - nicht Endprodukt, sondern Prozess. Die Amsterdamer Teilnehmerin Sher Doruff erinnert sich: „I was struck by the qualities of attention given the dynamic relations between emerging terminologies and performative actions, between forms of content and forms of expression, between the visible and the articulable, between light and language.” (Doruff 2008: 158)
+
Diese Dynamik bringt eine Bewegung zustande, in der Beschreibungen wie Gespräche funktionieren. Zwischen der eigenen Person und einem anderen. Zwischen dem Gegenüber und dem Selbst. Beschreibungen sind hier kein losgelöstes Ziel, sondern Mittel - nicht Endprodukt, sondern Prozess. Die Amsterdamer Teilnehmerin Sher Doruff erinnert sich: „I was struck by the qualities of attention given the dynamic relations between emerging terminologies and performative actions, between forms of content and forms of expression, between the visible and the articulable, between light and language” (Doruff 2008: 158).
  
  
 
'''3 Antiautoritär und basisdemokratisch'''
 
'''3 Antiautoritär und basisdemokratisch'''
  
Noch einmal soll in Anlehnung an die topografische Lagebeschreibung (wie etwa von Müller vorgeführt) die Frage nach der Position des Betrachters gestellt werden. Der englische Theatermacher und Performance Studies Professor Mike Pearson unterscheidet in seinem Buch „In Comes I“: Performance, Memory and Landscape zwischen dem distanzierten Beobachter und dem engagierten Insider, der ein grundsätzlich anderes Verhältnis zu seinem Objekt entwickelt hat, sei es ein Ort, eine Erinnerung, oder eine Situation.<ref>Vergl. Pearson, Mike (2007): „In Comes I“: Performance, Memory and Landscape", Exeter.</ref> Bereits in seiner Studie Theatre/Archeology hebt Pearson die Bedeutung der persönlichen Erzählung von Zeitzeugen hervor und zweifelt an der Darstellbarkeit eines großen Ganzen: „Could documentation be more a collage of these deep but fragmented observations, rather than ‘the big picture’?” (Pearson/Shanks 2001: 63) Selbst hat er zusammen mit dem Archäologen Michael Shanks ein Verfahren zur performativen Ortsbestimmung entwickelt, das sogenannte „Deep Mapping“, das als Lecture Performance verschiedene Genres und Medien miteinander kombiniert. „Theatre/Archaeology becomes part of an integrated, social and political practice active in the creation of personal, communal, local and national identities, a practice unafraid to be sensual, interpretive, romantic.” (Pearson/Shanks 2001: 162)
+
Noch einmal soll in Anlehnung an die topografische Lagebeschreibung (wie etwa von Müller vorgeführt) die Frage nach der Position des Betrachters gestellt werden. Der englische Theatermacher und Performance Studies Professor Mike Pearson unterscheidet in seinem Buch „In Comes I“: Performance, Memory and Landscape zwischen dem distanzierten Beobachter und dem engagierten Insider, der ein grundsätzlich anderes Verhältnis zu seinem Objekt entwickelt hat, sei es ein Ort, eine Erinnerung, oder eine Situation.<ref>Vergl. Pearson, Mike (2007): „In Comes I“: Performance, Memory and Landscape", Exeter.</ref> Bereits in seiner Studie Theatre/Archeology hebt Pearson die Bedeutung der persönlichen Erzählung von Zeitzeugen hervor und zweifelt an der Darstellbarkeit eines großen Ganzen: „Could documentation be more a collage of these deep but fragmented observations, rather than ‘the big picture’?” (Pearson/Shanks 2001: 63) Selbst hat er zusammen mit dem Archäologen Michael Shanks ein Verfahren zur performativen Ortsbestimmung entwickelt, das sogenannte „Deep Mapping“, das als Lecture Performance verschiedene Genres und Medien miteinander kombiniert. „Theatre/Archaeology becomes part of an integrated, social and political practice active in the creation of personal, communal, local and national identities, a practice unafraid to be sensual, interpretive, romantic” (Pearson/Shanks 2001: 162).
  
Sehen ist also eine Frage der Perspektive. Und jeder sieht einzeln. Vor kurzem hat der amerikanische Kunsthistoriker Terry Barrett den angehenden Kunstpädagogen an der Amsterdamer Kunsthochschule eine provozierende Methode vorgeschlagen. Sie sollten doch endlich als allwissende Autorität zurücktreten und stattdessen Kinder, Schüler oder Museumsbesucher ermutigen, sich von ihnen zu emanzipieren und bei der Betrachtung von Kunstwerken ihrer eigenen Wahrnehmung zu vertrauen. An die Stelle des herkömmlichen Unterrichts soll seiner Ansicht nach ab sofort eine sokratisches Gespräch treten, bei dem jegliche Bewertung der Beobachtung außen vor bleibt und Barrett unermüdlich fragt: „What do you see? What does it mean? How do you know?“ (Barrett 2010: 142)
+
Sehen ist also eine Frage der Perspektive. Und jeder sieht einzeln. Vor kurzem hat der amerikanische Kunsthistoriker Terry Barrett den angehenden Kunstpädagogen an der Amsterdamer Kunsthochschule eine provozierende Methode vorgeschlagen. Sie sollten doch endlich als allwissende Autorität zurücktreten und stattdessen Kinder, Schüler oder Museumsbesucher ermutigen, sich von ihnen zu emanzipieren und bei der Betrachtung von Kunstwerken ihrer eigenen Wahrnehmung zu vertrauen. An die Stelle des herkömmlichen Unterrichts soll seiner Ansicht nach ab sofort eine sokratisches Gespräch treten, bei dem jegliche Bewertung der Beobachtung außen vor bleibt und Barrett unermüdlich fragt: „What do you see? What does it mean? How do you know?“ (Barrett 2010: 142).
  
Susan Sontag hätte ihre Freude. In ihrem Klassiker, Against Interpretation, fordert sie bereits die Arroganz der Deutungshoheit heraus: „What is important now is to recover our senses. We must learn to see more, to hear more, to feel more… What is needed is a vocabulary - a descriptive, rather than prescriptive, vocabulary - for forms.” (Sontag 2008: 158)
+
Susan Sontag hätte ihre Freude. In ihrem Klassiker, Against Interpretation, fordert sie bereits die Arroganz der Deutungshoheit heraus: „What is important now is to recover our senses. We must learn to see more, to hear more, to feel more… What is needed is a vocabulary - a descriptive, rather than prescriptive, vocabulary - for forms” (Sontag 2008: 158).
  
Vielleicht gibt es eine Reihenfolge, und ist das Beschreiben als transdisziplinäres Verfahren nichts anderes als ein erster, basisdemokratischer Akt. Ein ursprüngliches Instrument um Sachverhalte und Begrifflichkeiten unmittelbar auszutauschen und zu veröffentlichen. Vielleicht ist es sogar eine unkomplizierte Form der Anhörung, bevor neue Verbindungen entstehen können. „What do you see? What does it mean? How do you know?“
+
Vielleicht gibt es eine Reihenfolge und das ''Beschreiben'' ist als transdisziplinäres Verfahren nichts anderes als ein erster, basisdemokratischer Akt. Ein ursprüngliches Instrument um Sachverhalte und Begrifflichkeiten unmittelbar auszutauschen und zu veröffentlichen. Vielleicht ist es sogar eine unkomplizierte Form der Anhörung, bevor neue Verbindungen entstehen können. „What do you see? What does it mean? How do you know?“
  
  
Zeile 45: Zeile 45:
  
 
Die Zusammenfassung einer Konferenz als automatisierte Übermalung, macht das Sinn? Zumindest bietet eine solche Anschreibung, Unterschreibung, Verschreibung, Umschreibung, Abschreibung, Beschreibung eine offene, anschauliche Alternative.
 
Die Zusammenfassung einer Konferenz als automatisierte Übermalung, macht das Sinn? Zumindest bietet eine solche Anschreibung, Unterschreibung, Verschreibung, Umschreibung, Abschreibung, Beschreibung eine offene, anschauliche Alternative.
 
 
  
 
== Bibliographie ==
 
== Bibliographie ==

Aktuelle Version vom 10. Oktober 2012, 19:46 Uhr

Meine Werkzeuge
Namensräume
Varianten
Aktionen
Navigation
Inhalt
Werkzeuge