Mappen
Aus A-Z der transziplinären Forschung
(→Perfomatives Potential) |
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− | == | + | == Mappen als transdisziplinäres Verfahren == |
− | " | + | Das Verb ''mappen'' oder auch ''mapping'' vom englischen Wort ''map'' für ''Karte'' kann als eine "Visualisierungstechnik und ein graphisches Mittel der Orientierung innerhalb eines Geltungsbereiches" (Gugerli 2004: 210) angesehen werden. Es hält in Form einer Zeichnung, eines Diagramms oder einer räumlichen Anordnung in unterschiedlichen Disziplinen Prozesse fest, die durch Beobachtung, Messung, Registrierung, Aushandlung, Berechnung, Standardisierung oder Bezeichnung entstehen. So fungiert ''mappen'' als maßgebliches Tool für die Produktion und Erforschung von "relatedness" (Gugerli 2004: 210), interspezifischen Relationen, in einem Feld von Informationen. Die Liste der Beispiele, in denen Wissenschaftler, Mediziner, Unternehmer, Informatiker oder Künstler ''mappen'', vergegenwärtigt die Bandbreite der Anwendungsgebiete dieses Verfahrens: Kartographie in der Geographie, Topographie und Ethnographie, ''gene mapping'' in der Biologie, ''data mapping'' beim Programmieren oder das ''business process mapping'' in Form von flow charts in der Unternehmensführung. In der künstlerischen Arbeit lassen sich organisatorische, performative und gestalterische Anwendungen von ''mapping-''Prozessen differenzieren. ''Mind maps'' veranschaulichen und strukturieren künstlerische Arbeitsprozesse, während die graphische Gestalt eines ''Mapping-''Prozesses, wie bei Jonathan Parsons ''Terminator Maquette'' (2007), selbst zum Kunstobjekt werden kann. |
− | + | [http://www.tagfinearts.com/jonathan-parsons/terminator-maquette.html. Terminator Maquette] | |
− | + | Parson überträgt in dieser Skulptur die Wegführung des öffentlichen Nahverkehrs einer Stadt auf eine Stahlplatte und formt hieraus ein selbstständiges Objekt. In performativen Anwendungen des ''mappings'' stehen die Handlung, das Überschreiben oder eine Perspektivenverschiebung im Vordergrund. Die Situationisten in den 1950er Jahren verwenden ''Dérives'', das Umherschweifen in der Stadt, als Strategie um die „dominante Ordnung des Kapitalismus (…) zu sabotieren und die Routinen der Wahrnehmung zu untergraben.“ (Spillmann 2011: 27) Der ''guide psychographique de Paris'' (1957) von Guy Debord dokumentiert diese Aneignung von Paris durch zusammengeklebte Schnipsel der Stadtkarte mit roten Pfeilen und überschreibt die normative Karte durch subjektive Erfahrungen. | |
− | [ | + | [http://imaginarymuseum.org/LPG/Mapsitu1.htm Map Situationisten] |
− | + | Im ''life mapping''<ref>Die Performance wurde im Rahmen der Auftakttagung des Graduiertenkollegs Versammlung und Teilhabe, K3 Tanzplan Hamburg auf Kampnagel, im April 2012 aufgeführt.</ref> von deufert und plischke mit Scott Delahunta wird ''mappen'' als Handlung selbst zur theatralen Aufführung. Die Künstler visualisieren zeitgleich die gesprochenen Worte der Partner auf einem Overhead-Projektor und demonstrieren so ihr Verständnis von Theater als Kommunikationsraum. Diese Nutzungen verweisen auf das performative Potential, das ''mappen'' inhärent ist und disziplinenübergreifend in künstlerischen und wissenschaftlichen Anwendungen zu finden ist. Trotz der unterschiedlichsten Formen des ''Mappens'' werden, David Gugerli folgend, auf abstrakter Ebene Gemeinsamkeiten in den Verfahren erkennbar. | |
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− | === | + | === Sequentielles Verfahren === |
− | + | ''Mappen'' ist allgemein die Visualisierung in einem Vermessungs- oder Begutachtungsprozess und kommuniziert ein Beziehungsgeflecht entlang einer zunächst willkürlichen Setzung. Generell werden zu Beginn zwei Referenzpunkte mit einer Grund- oder Verbindungslinie auf dem Papier, am Bildschirm oder auf einer Fläche verbunden. Um andere Teilaspekte mit diesen beiden Referenzpunkten in eine konkreten Beziehung zu stellen, muss mit einem dritten Referenzpunkt (Triangulation) diese Linie räumlich verortet und ausgerichtet werden. An dieses Dreieck können sich alle hinzugenommenen Informationen ankoppeln oder es nach außen erweitern. Die Beziehung der Referenzpunkte beruht auf einer bestimmten Fragestellung und vereinfacht bzw. verschleiert andere Relationen des oft komplexeren Untersuchungsgegenstands. Im Prozess des ''mappens'' entwickelt sich ein fortwährend verkomplizierendes und wucherndes Netzwerk von aufeinander bezogenen Referenten. Hierbei wird die Nähe zur Kartographie sichtbar, welches sich historisch sehr ähnlichen Aktionen bedient. „In [nineteenth century topographical mapping] this sequential process of measuring, annotating and (re)-calculation angles or relative distances, on the one hand, and drawing, counting and registering topographical details, on the other, an all encompassing relatedness was produced.“ (Gugerli 2004: 212) Diesen wuchernden und überlagernden Aspekt von ''mapping'' macht sich z.B. der Bildende Künstler Jeff Woodbury für seine künstlerischen Arbeiten zu nutze. In ''Atlas'' (2008) überträgt und überlagert er mit Bleistift unterschiedliche Straßenkarten, um ein scheinbar organisches Gewebe zum Vorschein zu bringen. | |
+ | [http://tumblr.wblut.com/post/6208916027/roomthily-atlas-jeff-woodbury-tracings-in. Atlas] (13.06.2012) oder (Harmons/Clemans 2009: 241) | ||
− | [[ | + | Dieses Netz im ''mapping''-Prozess wirkt wie ein Filter, der andere Perspektiven ausblenden kann. Geographische Karten können politische oder ethnographische Fragestellen abbilden, während sie ökonomische Ursachen, die zu ihrer Entstehung beitragen, nicht berücksichtigen. Das Mapping-Projekt ''MigMap – Governing Migration'', dass soziologische, politologische und kulturwissenschaftliche Informationen zur Europäischen Migrationspolitik in eine interdisziplinäre internetgestützte Karte einbindet, zeigt anschaulich den Versuch diesem Filter durch eine plurale Perspektive entgegenzuwirken. ( [http://www.transitmigration.org/migmap/home_entry.html MigMap-Website] ) Doch die Komplexität der virtuellen, künstlerischen Karten erschweren ihre Lesbarkeit. „Karten müssen interpretiert werden. Um Karten lesen zu können, braucht es die Kenntnisse der sozialen und politischen ‚Grammatiken’, die sich hinter den verwendeten Zeichen und Symbolen verbergen.“ (Spillmann 2011: 27) Die erarbeiteten formalen Graphiken der ''MigMap''-Karte 4 ''Places and Practices'' zeigen durch den Gebrauch von geometrischen Objekten, die in graduelle Kreise eingebettet sind, neue Formen der Darstellung, die eine klassische Triangulation umgeht. ([http://www.transitmigration.org/migmap/home_map4.html Karte 4] ) |
+ | ''Mapping'' hat dabei zwei Funktionen: Es dient zur „Reduktion“ von Komplexität, Ortsgebundenheit, Partikularität, Materialität und Vielfalt des Objektes, gleichzeitig gewinnt es durch Abstraktion ein Mehr an Lesbarkeit, Kompatibilität, Universalität, Überlagerung, Text und Kalkül und dadurch eine „Amplifikation“. (Latour 1997: 255) | ||
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+ | Je nach Notwendigkeit und Funktion ist die Karte nur Beginn eines langen, sich wiederholenden Prozesses. In einer topographische Karte oder in den unzähligen Teilschritten im ''Human Genom Project ''(Vgl.: [http://www.ornl.gov/sci/techresources/Human_Genome/publicat/primer/prim2.html Human Genom Project] ) bedingt die Fortführung eine sich immer wieder einschätzende Befragung des Gegenstandes und eine fortwährende Justierung der Vorannahme. Eine Materialisierung dieser Sequenz in einer Zeichnung dient der unmittelbaren visuellen Gruppierung seines Inhalts. In der sequentiellen Inskription konstruieren sich „künstliche Repräsentationen, die sich immer weiter von der Welt zu entfernen scheinen, und die sie ihr dennoch näher bringen.“ (Latour 1997: 218) Bruno Latour erkennt hierin eine Beherrschung der Welt durch den synoptischen Blick, „wenn die Welt [den Wissenschaftlern] in zweidimensionaler, überlagerbarer und kombinierbarer Inskription entgegenkommt“. (Latour 1997: 217) Basierend auf intensiver Nachforschung präsentiert die französische Künstlergruppe ''Bureau d´Etudes'' ( [http://bureaudetudes.org/ Bureau d´Etudes] ) ihre Analyse der Netzwerke im transnationalen Kapitalismus in großformatigen Wandmalereien, um sich der Beherrschung der Welt durch den Kapitalismus alternativ perspektivierte ''mappings'' entgegenzusetzen. | ||
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+ | Ein Archiv verhilft zu einer expliziten „Zeitlichkeit“ (Gugerli 2004: 213) im Prozess des ''Mappens'', um die einzelnen Schritte und Veränderungen auf der Karte nachzuvollziehen, zu rejustieren und wiederholen zu können. Nur in der Nachvollziehbarkeit durch ein Protokoll ist die Kompatibilität und Vergleichbarkeit der einzelnen Eintragungen ins Netz von Informationen gewährleistet. Diese Transparenz in der Kontinuität von Raum und Zeit garantiert ein Vertrauen an den ‚Realitätswert’ der resultierenden Zeichnung. Aus diesem Grund werden die Karten von ''Bureau d´Etudes'' und ''MigMap'' auch durch Texte und vereinzelt Quellen unterstützt, um deren Glaubwürdigkeit zu untermauern. Fehlende Angaben der Quellen in der Arbeit ''Crisis'' (2006), in der die Argentinische Finanzkrise dargestellt wird, vermindern die Transparenz und untergraben die Wirkung der Karte. | ||
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+ | [http://bureaudetudes.org/category/gouvern-par-crises/ Crisis] (13.06.2012) | ||
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+ | === Perfomatives Potential === | ||
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+ | Je dichter die Informationen und geprüfter das Netz, welches aus dem ''mappen'' hervorgeht, desto mehr stabilisiert und formt sich der Forschungsgegenstand; aber auch die ‚mapper’ selbst verändern sich im fortlaufenden Prozess. In der ganzheitlichen Materialisierung der sich überlagernden, akkumulierenden und sich affirmierenden Informationen in einer Zeichnung kann mappen eine radikale Performativität entwickeln. Vorläufige Ergebnisse und Nebenprodukte verändern als Teil des ''mapping''-Prozesses die Perspektive auf den Gegenstand, zeigen Grenzen auf und eröffnen neue Fragestellungen. Karten verändern so kollektive Wahrnehmungsmuster und geben neue Rahmungen zum (kulturellen) Verständnis eines Gegenstands. <ref>Ein gutes Beispiel für diesen Prozess sind die botanischen Karten von Oscar Drude, zu ihrem transdisziplinären Charakter vgl. Güttler 2011.</ref> Verschiedene ''mapping''-Projekte integrieren unterschiedliche Grade der Präzision zu einem optisch konsistenten Repräsentationsraum. Die Lücken dieser Repräsentation, die weißen Flächen in den Zwischenräumen, animieren andere Autoren zur Vervollständigung beizutragen: „Maps ask to be completed.“ (Gugerli 2004: 215) Karten generieren so ein reproduzierendes und evolutionäres Potential. Die Topographie im 19. Jahrhundert fixierte z.B. durch verschiedene Kartographie-Prozesse Berggipfel als Referenzpunkte und konventionalisierte und standarisierte Bezeichnungen in ihrer Aktualisierung. (Gugerli 2004: 214) <ref>Siehe auch Gugerli 1999</ref> Die so entstehende kollektive Autorenschaft (nicht unähnlich der Form eines heutigen Wikis) verschleiert den künstlichen Charakter der konstituierenden Vorannahmen, der andere Relationen oder dessen Existenzbedingung ausblendet. ''Mappen'' gibt einen homogenen Aktionsraum vor und evoziert eine Illusion von „karthographischer Neutralität“ (Gugerli 2004: 213). Je mehr in kollektiven Projekten der individuelle ‚''mapper'' ’ und seine Kunstfertigkeit der Messung und Benennung absorbiert wird, desto größer wird die ‚objektive’ Legitimation der Karte. Durch die Standarisierung und Affirmation einer bestimmten visuellen Darstellungsweise verbreitert sich die generelle Lesbarkeit. Indem die künstlichen und willkürlichen Zeichen zu einem allgemein verständlichen Repräsentationsraum werden, vereinheitlichen sich die Objekte und die Leser entwickeln eine imaginäre Gemeinschaft mit einer eigenen Identität. Das Endprodukt erhält erst nach einem Prozess von kultureller und wissenschaftlicher Bewertung die Legitimation, die seine visuelle Macht entfaltet. Gugerli fordert daher die Standards, Prozedere, das Level der Präzision, aber auch die Arbeitsteilung und die politischen Verflechtungen in ''mapping''-Prozessen transparent zu machen. (Gugerli 2004: 216) <ref>Die Kartographierung politischer Machtbereiche im 19. Jh. hatte weitreichende Folgen für die nationale Identitätsbildung (Gugerli 2002). Diese „politics of truth“ (Gugerli 2004: 215) finden sich noch Darstellungsweisen der Kontinente heute augenscheinlich. Amerikanische Atlanten zentrieren Nordamerika, während in europäischen Darstellungen, zum Beispiel in der Tagesschau, der eigene Kontinent als Mitte der Welt platziert wird. Ein anderes Beispiel ist die Übertragung des runden Globus auf eine zweidimensionale Fläche bei der Mercator-Projektion von 1569. Um ein rechtwinkliges Raster vom Äquator zu den sich verengenden Polen zu erhalten, werden die Rechtecke und so die Kontinente hinzu den Polarkreisen vergrößert. In der auch für „google maps“ oder „OpenStreetMap“ genutzte Darstellungsweise wirken Länder wie das damalige Flandern, Deutschland oder die USA viel gewichtiger und legitimieren implizit den globalen Machtanspruch.</ref> | ||
+ | Diesen vermeintlich homogenen Repräsentationsraum versuchen Martin Nachbar und Jochen Roller in ihrer choreographischen Arbeit ''mnemonik nonstop'' (2005) aufzubrechen „Let's concentrate on the passions and imagine a city full of passionate passages. Such passages would lead people constantly to niches, hidden or not, places of intensity that would be able to produce a crack in the official maps that we know from the a-z's or tourist guides.“ (Nachbar 2006: 23) Den ''Dérives'' folgend versuchen die Künstler durch Subjektivierung oder Überlagerung den Stadtraum von Berlin, Brüssel, TelAviv und Zagreb umzuorganisieren und neue Bedeutungen hinzuzuführen. In der Projektion einer transparenten Brüssel-Karte auf den Stadtplan der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa erscheinen verborgene Strukturen und die übereinanderliegenden Orte scheinen die belgische Kolonialgeschichte anschaulich zu dekonstruieren. In seiner Auseinandersetzung mit ''mapping'' macht Nachbar auf die Ähnlichkeit des Verfahrens mit Choreographie aufmerksam. „A choreography makes visible an experience through repeatable actions that are engraved in the dancer's/performer's body.“ (Nachbar 2006: 24) Solche Einschreibungen in den Körper können auch als Visualisierungstechnik und Orientierungsmittel verstanden werden. Die nicht-lineare Kompositionsstruktur der Choreographie ''wallen'' (2012) von Sebastian Matthias basiert auf einer im Kreationsprozess ge''mappten'' „somatischen Karte“, die den Tänzern und dem Soundkünstler dazu verhilft ihre Performance mit den Partnern abzugleichen, Entfernungen und Position im Raum zu bestimmen und die Dramaturgie in jeder Aufführung neu auszuhandeln. ( [http://www.tanzforumberlin.de/trailer467.php wallen Trailer] ) Die Unterschiedlichkeit der einzelnen Aufführung stellen die Prekarität des Übersetzungsaktes von der Karte auf eine körperliche Erfahrung, aber auch den Sprung jedes ''mapping''-Aktes heraus. | ||
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+ | Bruno Latour sieht in dieser Übertragung oder Übersetzung den kritischen Kern des ''mappens''. In seinem Text ''Der Pedologenfaden von Boa Vista'' zieht er die botanischen und pedologischen Analysemethoden und ihre gemeinsame graphische Darstellung zur Verschiebung der Waldgrenze im brasilianischen Urwald zu seiner ethnographischen Untersuchung von wissenschaftlicher Realitätskonstruktion heran. Er weist in diesem Prozess auf das Instrument, das erst den Zugriff auf ein Phänomen und die Unterscheidungsmöglichkeit seiner Teilaspekte, sprich dessen Sichtbarkeit, zuerst erlaubt. „Alle diese leeren Formen [im Sinne einer Fassung] befinden sich hinter den Erscheinungen, bevor sie sich manifestieren und damit sie sich manifestieren. Im Wald [von Boa Vista] sind diese Phänomene alle auf einmal da und damit unsichtbar. Sie werden sich erst vor jenem Hintergrund abheben und sichtbar werden, den man listiger Weise hinter sie gestellt hat.“ (Latour 1997: 235) So spricht Latour nicht von Daten, die im ''mappen'' in die transdisziplinäre Zeichnung eingeschrieben werden, „sondern von Fakten (also etwas Gemachtem)“. (Latour 1997: 229) Michel Serres beschreibt im Bezug zum Instrument detailliert, wie sich durch das altgriechische kartographische Messgerät ''Gnomen'', oder Sonnenuhr, die Disziplinen der Logik und der Mathematik erst entwickeln konnten. (Serres 2002) | ||
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+ | === Transdisziplinarität === | ||
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+ | ''Mappen'' kann als ein transdisziplinäres Mittel beschrieben werden, da es „problembezogen“ (Krohn 2012: 2) äußerst heterogene Formen annehmen kann. „Auf ein und derselben Papieroberfläche können wir sehr verschiedene Informationsquellen vereinen, die sich dank der Dolmetschertätigkeit einer homogenen graphischen Sprache verbinden.“ (Latour 1997: 251) Im kollektiven Prozess des Eintragens von Informationen und der Verabredung von entsprechenden Zeichen bietet ''mappen'' die Möglichkeit einer durch den Prozess entwickelten transdisziplinären Sprache. Da in der Bezeichnung und Einschreibung des ''mappen'' ein Referent zum Zeichen wird, überträgt dieses Verfahren praktische Gegebenheiten aus der Welt der Dinge in Textform und bettet sie in theoretische Gedankengänge ein. Als zweidimensionale Visualisierungstechnik stiftet sie zwischen praktischen und theoretischen Disziplinen Kompatibilität. Dieser Übertragung ist beim ''mappen'' jedoch ein „völliger Bruch zwischen Ding-Teil und Zeichen-Teil“ (Latour 1997: 246) inhärent, über den Bruno Latour die Realitätskonstruktion von Wissenschaft kritisiert. (Latour 1987: 215-57) | ||
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+ | Die Möglichkeiten von digitalen Medien verhelfen ''mappen'' zu einer erweiterten transdisziplinären Dimension. Die Internetplattform ''Model House'' – ''Mapping Transcultural Modernisms'' ([http://www.transculturalmodernism.org/page/29 Model House]) repräsentiert und produziert digital ein Netzwerk transkulturellen Migration von Akteuren, kultureller Praxis und Diskursen der Moderne in der Architektur in den 1950´er Jahren und „visualisiert den Forschungsprozess selbst“. (Amir, Fahim et al o.J.) „ In this manner, the exchange between researchers at different places and from different disciplines, as well as the participation of nonacademic experts and the integration of a multiplicity of text forms, media, and aesthetic practices are enabled and intensified. The result of this constellation is a polylogical and multiperspectival narration by a number of speakers.“ (Amir, Fahim et al. o.J.) | ||
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+ | Der Prozess des ''Mappens'' konstruiert und konstituiert nicht nur einen Untersuchungsgegenstand, indem es ihn rahmt, unterteilt und ordnet. Nach Latour folgt „auf einen neuen Zugriff beinahe immer eine neue Erfindung“ (Latour 1997: 239), ein schöpferischer Akt, der sich auch in einer künstlerischen Arbeit manifestieren kann. So kann ''mappen'' als transdisziplinäres Verfahren zwischen Kunst und Wissenschaft in zwei Richtungen nutzbar gemacht werden. Es verhilft den künstlerischen Arbeitsweisen oder dessen dinglichen oder performativen Endprodukten als Karte, Notation oder Diagramm in die zweidimensionale Dimension des Textes, gleichzeitig kann der abstrahierende Zugriff auf das Material neue Sichtweisen hervorbringen, die den künstlerischen Prozess weiterentwickelt und zu neuen Gestaltungsformen führt. | ||
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+ | == Bibliographie == | ||
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+ | * Amir, Fahim et al. (o.J.): Who or what builds a city or a city district?, http://www.transculturalmodernism.org/page/29. (23.06.2012) | ||
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+ | * Gugerli, David (1999): Präzessionsmessungen am geodätischen Fundament der Nation. Zum historischen Anforderungsreichtum einer vermessenen Landschaft. In: Gugerli, David (Hg.): Vermessene Landschaften. Kulturgeschichte und technische Praxis im 19. und 20. Jahrhunderts, Zürich, S.11- 36. | ||
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+ | * Gugerli, David/Speich, Daniel (2002): Topografien der Nation. Politik, kartografische Ordnung und Landschaft im 19. Jahrhundert, Zürich. | ||
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+ | * Gugerli, David (2004): Mapping. In: Gaudillière, Jean-Paul/Rheinberger, Hans-Jörg (Hg.): From Molecular Genetics to Genomics. The mapping cultures of twentieth-century genetics, New York, S. 210-218. | ||
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+ | * Harmon, Kathrine A./Clemans, Gayle (2009): The map as art. Contemporary artists explore carthography, Princeton. | ||
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+ | * Güttler, Nils Robert (2011): Scaling the Period Eye. Oscar Drude and the Cartographical Practice of Plant Geography, 1870s-1910s. In: Science in Context, 24 (1), S. 1-41. | ||
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+ | * Krohn, Wolfgang (2012): Künstlerische und wissenschaftliche Forschung in transdiziplinären Projekten. In: Trödle, Martin/Warmers, Julia (Hg.): Kunstforschung als ästhetische Wissenschaft. Beiträge zur transdisziplinären Hybridisierung von Wissenschaft und Kunst, Bielefeld, S.1-19. | ||
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+ | * Latour, Bruno (1987): Science in action, Cambridge. | ||
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+ | * Latour, Bruno (1997): Der Pedologenfaden von Boa Vista. In: Rheinberger, Hans-Jörg/Hagner, Michael/Wahrig-Schmidt, Bettina (Hg.): Räume des Wissen. Repräsentation, Codierung, Spur, Berlin, S.213-263, hier S. 255. | ||
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+ | * Nachbar, Martin (2006): How to become a trespasser. The derive and choreography as critical urban practices. In Dance Theatre Journal 21 (4), S. 23-24. | ||
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+ | * Serres, Michel (2002): Gnomon. Les débuts de la géométrie en Grèce, http://www.archipress.org/index.php?option=com_content&task=view&id=82&Itemid=42. (20.05.2012) | ||
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+ | * Spillmann, Peter (2011): Der karthographierte öffentliche Raum. In: Hochschule Luzern Design und Kunst 1, S. 27-30. | ||
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+ | == Anmerkungen == | ||
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+ | <references /> |