Mappen

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(Perfomatives Potential)
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Je dichter die Informationen und geprüfter das Netz, welches aus dem ''mappen'' hervorgeht, desto mehr stabilisiert und formt sich der Forschungsgegenstand; aber auch die ‚mapper’ selbst verändern sich im fortlaufenden Prozess. In der ganzheitlichen Materialisierung der sich überlagernden, akkumulierenden und sich affirmierenden Informationen in einer Zeichnung kann mappen eine radikale Performativität entwickeln. Vorläufige Ergebnisse und Nebenprodukte verändern als Teil des ''mapping''-Prozesses die Perspektive auf den Gegenstand, zeigen Grenzen auf und eröffnen neue Fragestellungen. Karten verändern so kollektive Wahrnehmungsmuster und geben neue Rahmungen zum (kulturellen) Verständnis eines Gegenstands. <ref>Ein gutes Beispiel für diesen Prozess sind die botanischen Karten von Oscar Drude, zu ihrem transdisziplinären Charakter vgl. (Güttler 2011).</ref> Verschiedene ''mapping''-Projekte integrieren unterschiedliche Grade der Präzision zu einem optisch konsistenten Repräsentationsraum. Die Lücken dieser Repräsentation, die weißen Flächen in den Zwischenräumen, animieren andere Autoren zur Vervollständigung beizutragen: „Maps ask to be completed.“ (Gugerli 2004: 215) Karten generieren so ein reproduzierendes und evolutionäres Potential. Die Topographie im 19. Jahrhundert fixierte z.B. durch verschiedene Kartographie-Prozesse Berggipfel als Referenzpunkte und konventionalisierte und standarisierte Bezeichnungen in ihrer Aktualisierung. (Gugerli 2004: 214) <ref>Siehe auch Gugerli (1999)</ref>  Die so entstehende kollektive Autorenschaft (nicht unähnlich der Form eines heutigen Wikis) verschleiert den künstlichen Charakter der konstituierenden Vorannahmen, der andere Relationen oder dessen Existenzbedingung ausblendet. ''Mappen'' gibt einen homogenen Aktionsraum vor und evoziert eine Illusion von „karthographischer Neutralität“ (Gugerli 2004: 213). Je mehr in kollektiven Projekten der individuelle ‚''mapper'' ’ und seine Kunstfertigkeit der Messung und Benennung absorbiert wird, desto größer wird die ‚objektive’ Legitimation der Karte. Durch die Standarisierung und Affirmation einer bestimmten visuellen Darstellungsweise verbreitert sich die generelle Lesbarkeit. Indem die künstlichen und willkürlichen Zeichen zu einem allgemein verständlichen Repräsentationsraum werden, vereinheitlichen sich die Objekte und die Leser entwickeln eine imaginäre Gemeinschaft mit einer eigenen Identität. Das Endprodukt erhält erst nach einem Prozess von kultureller und wissenschaftlicher Bewertung die Legitimation, die seine visuelle Macht entfaltet. Gugerli fordert daher die Standards, Prozedere, das Level der Präzision, aber auch die Arbeitsteilung und die politischen Verflechtungen in ''mapping''-Prozessen transparent zu machen. (Gugerli 2004: 216) <ref>Die Kartographierung politischer Machtbereiche im 19. Jh. hatte weitreichende Folgen für die nationale Identitätsbildung. (Gugerli 2002) Diese „politics of truth“ (Gugerli 2004: 215) finden sich noch Darstellungsweisen der Kontinente heute augenscheinlich. Amerikanische Atlanten zentrieren Nordamerika, während in europäischen Darstellungen, zum Beispiel in der Tagesschau, der eigene Kontinent als Mitte der Welt platziert wird. Ein anderes Beispiel ist die Übertragung des runden Globus auf eine zweidimensionale Fläche bei der Mercator-Projektion von 1569. Um ein rechtwinkliges Raster vom Äquator zu den sich verengenden Polen zu erhalten, werden die Rechtecke und so die Kontinente hinzu den Polarkreisen vergrößert. In der auch für „google maps“ oder „OpenStreetMap“ genutzte Darstellungsweise wirken Länder wie das damalige Flandern, Deutschland oder die USA viel gewichtiger und legitimieren implizit den globalen Machtanspruch.</ref>
 
Je dichter die Informationen und geprüfter das Netz, welches aus dem ''mappen'' hervorgeht, desto mehr stabilisiert und formt sich der Forschungsgegenstand; aber auch die ‚mapper’ selbst verändern sich im fortlaufenden Prozess. In der ganzheitlichen Materialisierung der sich überlagernden, akkumulierenden und sich affirmierenden Informationen in einer Zeichnung kann mappen eine radikale Performativität entwickeln. Vorläufige Ergebnisse und Nebenprodukte verändern als Teil des ''mapping''-Prozesses die Perspektive auf den Gegenstand, zeigen Grenzen auf und eröffnen neue Fragestellungen. Karten verändern so kollektive Wahrnehmungsmuster und geben neue Rahmungen zum (kulturellen) Verständnis eines Gegenstands. <ref>Ein gutes Beispiel für diesen Prozess sind die botanischen Karten von Oscar Drude, zu ihrem transdisziplinären Charakter vgl. (Güttler 2011).</ref> Verschiedene ''mapping''-Projekte integrieren unterschiedliche Grade der Präzision zu einem optisch konsistenten Repräsentationsraum. Die Lücken dieser Repräsentation, die weißen Flächen in den Zwischenräumen, animieren andere Autoren zur Vervollständigung beizutragen: „Maps ask to be completed.“ (Gugerli 2004: 215) Karten generieren so ein reproduzierendes und evolutionäres Potential. Die Topographie im 19. Jahrhundert fixierte z.B. durch verschiedene Kartographie-Prozesse Berggipfel als Referenzpunkte und konventionalisierte und standarisierte Bezeichnungen in ihrer Aktualisierung. (Gugerli 2004: 214) <ref>Siehe auch Gugerli (1999)</ref>  Die so entstehende kollektive Autorenschaft (nicht unähnlich der Form eines heutigen Wikis) verschleiert den künstlichen Charakter der konstituierenden Vorannahmen, der andere Relationen oder dessen Existenzbedingung ausblendet. ''Mappen'' gibt einen homogenen Aktionsraum vor und evoziert eine Illusion von „karthographischer Neutralität“ (Gugerli 2004: 213). Je mehr in kollektiven Projekten der individuelle ‚''mapper'' ’ und seine Kunstfertigkeit der Messung und Benennung absorbiert wird, desto größer wird die ‚objektive’ Legitimation der Karte. Durch die Standarisierung und Affirmation einer bestimmten visuellen Darstellungsweise verbreitert sich die generelle Lesbarkeit. Indem die künstlichen und willkürlichen Zeichen zu einem allgemein verständlichen Repräsentationsraum werden, vereinheitlichen sich die Objekte und die Leser entwickeln eine imaginäre Gemeinschaft mit einer eigenen Identität. Das Endprodukt erhält erst nach einem Prozess von kultureller und wissenschaftlicher Bewertung die Legitimation, die seine visuelle Macht entfaltet. Gugerli fordert daher die Standards, Prozedere, das Level der Präzision, aber auch die Arbeitsteilung und die politischen Verflechtungen in ''mapping''-Prozessen transparent zu machen. (Gugerli 2004: 216) <ref>Die Kartographierung politischer Machtbereiche im 19. Jh. hatte weitreichende Folgen für die nationale Identitätsbildung. (Gugerli 2002) Diese „politics of truth“ (Gugerli 2004: 215) finden sich noch Darstellungsweisen der Kontinente heute augenscheinlich. Amerikanische Atlanten zentrieren Nordamerika, während in europäischen Darstellungen, zum Beispiel in der Tagesschau, der eigene Kontinent als Mitte der Welt platziert wird. Ein anderes Beispiel ist die Übertragung des runden Globus auf eine zweidimensionale Fläche bei der Mercator-Projektion von 1569. Um ein rechtwinkliges Raster vom Äquator zu den sich verengenden Polen zu erhalten, werden die Rechtecke und so die Kontinente hinzu den Polarkreisen vergrößert. In der auch für „google maps“ oder „OpenStreetMap“ genutzte Darstellungsweise wirken Länder wie das damalige Flandern, Deutschland oder die USA viel gewichtiger und legitimieren implizit den globalen Machtanspruch.</ref>
Diesen vermeintlich homogenen Repräsentationsraum versuchen Martin Nachbar und Jochen Roller in ihrer choreographischen Arbeit ''mnemonik nonstop'' (2005) aufzubrechen „Let's concentrate on the passions and imagine a city full of passionate passages. Such passages would lead people constantly to niches, hidden or not, places of intensity that would be able to produce a crack in the official maps that we know from the a-z's or tourist guides.“ (Nachbar 2006: 23) Den ''Dérives'' folgend versuchen die Künstler durch Subjektivierung oder Überlagerung den Stadtraum von Berlin, Brüssel, TelAviv und Zagreb umzuorganisieren und neue Bedeutungen hinzuzuführen. In der Projektion einer transparenten Brüssel-Karte auf den Stadtplan der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa erscheinen verborgene Strukturen und die übereinanderliegenden Orte scheinen die belgische Kolonialgeschichte anschaulich zu dekonstruieren. In seiner Auseinandersetzung mit ''mapping'' macht Nachbar auf die Ähnlichkeit des Verfahrens mit Choreographie aufmerksam. „A choreography makes visible an experience through repeatable actions that are engraved in the dancer's/performer's body.“ (Nachbar 2006: 24) Solche Einschreibungen in den Körper können auch als Visualisierungstechnik und Orientierungsmittel verstanden werden. Die nicht-lineare Kompositionsstruktur der Choreographie ''wallen'' (2012) von Sebastian Matthias basiert auf einer im Kreationsprozess ge''mappten'' „somatischen Karte“, die den Tänzern und dem Soundkünstler dazu verhilft ihre Performance mit den Partnern abzugleichen, Entfernungen und Position im Raum zu bestimmen und die Dramaturgie in jeder Aufführung neu auszuhandeln. ( [http://www.tanzforumberlin.de/trailer467.php ''wallen Trailer''] ) Die Unterschiedlichkeit der einzelnen Aufführung stellen die Prekarität des Übersetzungsaktes von der Karte auf eine körperliche Erfahrung, aber auch den Sprung jedes ''mapping''-Aktes heraus.
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Diesen vermeintlich homogenen Repräsentationsraum versuchen Martin Nachbar und Jochen Roller in ihrer choreographischen Arbeit ''mnemonik nonstop'' (2005) aufzubrechen „Let's concentrate on the passions and imagine a city full of passionate passages. Such passages would lead people constantly to niches, hidden or not, places of intensity that would be able to produce a crack in the official maps that we know from the a-z's or tourist guides.“ (Nachbar 2006: 23) Den ''Dérives'' folgend versuchen die Künstler durch Subjektivierung oder Überlagerung den Stadtraum von Berlin, Brüssel, TelAviv und Zagreb umzuorganisieren und neue Bedeutungen hinzuzuführen. In der Projektion einer transparenten Brüssel-Karte auf den Stadtplan der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa erscheinen verborgene Strukturen und die übereinanderliegenden Orte scheinen die belgische Kolonialgeschichte anschaulich zu dekonstruieren. In seiner Auseinandersetzung mit ''mapping'' macht Nachbar auf die Ähnlichkeit des Verfahrens mit Choreographie aufmerksam. „A choreography makes visible an experience through repeatable actions that are engraved in the dancer's/performer's body.“ (Nachbar 2006: 24) Solche Einschreibungen in den Körper können auch als Visualisierungstechnik und Orientierungsmittel verstanden werden. Die nicht-lineare Kompositionsstruktur der Choreographie ''wallen'' (2012) von Sebastian Matthias basiert auf einer im Kreationsprozess ge''mappten'' „somatischen Karte“, die den Tänzern und dem Soundkünstler dazu verhilft ihre Performance mit den Partnern abzugleichen, Entfernungen und Position im Raum zu bestimmen und die Dramaturgie in jeder Aufführung neu auszuhandeln. ( [http://www.tanzforumberlin.de/trailer467.php wallen Trailer] ) Die Unterschiedlichkeit der einzelnen Aufführung stellen die Prekarität des Übersetzungsaktes von der Karte auf eine körperliche Erfahrung, aber auch den Sprung jedes ''mapping''-Aktes heraus.
  
 
Bruno Latour sieht in dieser Übertragung oder Übersetzung den kritischen Kern des ''mappens''. In seinem Text ''Der Pedologenfaden von Boa Vista'' zieht er die botanischen und pedologischen Analysemethoden und ihre gemeinsame graphische Darstellung zur Verschiebung der Waldgrenze im brasilianischen Urwald zu seiner ethnographischen Untersuchung von wissenschaftlicher Realitätskonstruktion heran. Er weist in diesem Prozess auf das Instrument, das erst den Zugriff auf ein Phänomen und die Unterscheidungsmöglichkeit seiner Teilaspekte, sprich dessen Sichtbarkeit, zuerst erlaubt. „Alle diese leeren Formen [im Sinne einer Fassung] befinden sich hinter den Erscheinungen, bevor sie sich manifestieren und damit sie sich manifestieren. Im Wald [von Boa Vista] sind diese Phänomene alle auf einmal da und damit unsichtbar. Sie werden sich erst vor jenem Hintergrund abheben und sichtbar werden, den man listiger Weise hinter sie gestellt hat.“ (Latour 1997: 235) So spricht Latour nicht von Daten, die im ''mappen'' in die transdisziplinäre Zeichnung eingeschrieben werden, „sondern von Fakten (also etwas Gemachtem)“. (Latour 1997: 229) Michel Serres beschreibt im Bezug zum Instrument detailliert, wie sich durch das altgriechische kartographische Messgerät ''Gnomen'', oder Sonnenuhr, die Disziplinen der Logik und der Mathematik erst entwickeln konnten. (Serres 2002)
 
Bruno Latour sieht in dieser Übertragung oder Übersetzung den kritischen Kern des ''mappens''. In seinem Text ''Der Pedologenfaden von Boa Vista'' zieht er die botanischen und pedologischen Analysemethoden und ihre gemeinsame graphische Darstellung zur Verschiebung der Waldgrenze im brasilianischen Urwald zu seiner ethnographischen Untersuchung von wissenschaftlicher Realitätskonstruktion heran. Er weist in diesem Prozess auf das Instrument, das erst den Zugriff auf ein Phänomen und die Unterscheidungsmöglichkeit seiner Teilaspekte, sprich dessen Sichtbarkeit, zuerst erlaubt. „Alle diese leeren Formen [im Sinne einer Fassung] befinden sich hinter den Erscheinungen, bevor sie sich manifestieren und damit sie sich manifestieren. Im Wald [von Boa Vista] sind diese Phänomene alle auf einmal da und damit unsichtbar. Sie werden sich erst vor jenem Hintergrund abheben und sichtbar werden, den man listiger Weise hinter sie gestellt hat.“ (Latour 1997: 235) So spricht Latour nicht von Daten, die im ''mappen'' in die transdisziplinäre Zeichnung eingeschrieben werden, „sondern von Fakten (also etwas Gemachtem)“. (Latour 1997: 229) Michel Serres beschreibt im Bezug zum Instrument detailliert, wie sich durch das altgriechische kartographische Messgerät ''Gnomen'', oder Sonnenuhr, die Disziplinen der Logik und der Mathematik erst entwickeln konnten. (Serres 2002)

Version vom 10. Oktober 2012, 19:27 Uhr

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