Anerkennen
(Anerkennen ist eine Angelegenheit nicht einfach der emotionalen Zuwendung oder Höflichkeit, sondern der Wahrnehmung, der Möglichkeitsbedingung der Wahrnehmung des Anderen, ihrer szenischen Formen, strukturellen Paradoxien, Rahmungen und Sinnlichkei) |
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'''1. Anerkennung, der Andere, ein Theater.''' | '''1. Anerkennung, der Andere, ein Theater.''' | ||
− | ''Anerkennen'' ist der Name eines philosophischen Konzepts, das sich mit bestimmten Autornamen verbindet. In letzter Zeit hat insbesondere Thomas Bedorf systematisch deren verschiedene Konzeptionen von Andersheit, Anerkennung, Alterität durch die Philosophiegeschichte durchgearbeitet. | + | ''Anerkennen'' ist der Name eines philosophischen Konzepts, das sich mit bestimmten Autornamen verbindet. In letzter Zeit hat insbesondere Thomas Bedorf systematisch deren verschiedene Konzeptionen von Andersheit, Anerkennung, Alterität durch die Philosophiegeschichte durchgearbeitet. (1) Sein Buchtitel "Verkennende Anerkennung" verweist auf die Paradoxie, dass eine völlige Anerkennung nie stattfinden kann - jedes Anerkennen verfehlt notwendigerweise den anderen, weil sie nur unter der Maßgabe des Bekannten erfolgt. (2) |
Ausgehend von Althussers "Ideologischen Staatsapparaten", die nicht mehr durch staatliche Organe wie die Polizei herrschen, sondern durch die Ideologie (3), die sich in Praktiken und Ritualen zeigt und sich hierin performativ durchsetzt, kommt Bedorf mit Blick aufs französische Original auf die Anerkennung als deren grundlegendes Element. Die berühmte Szene, in der der Polizist "He, Sie da" ruft und sich der/die Angerufene umdreht, sich in dieser Unterwerfung unter den Ruf allererst als Subjekt konstituiert, bezeichnet Althusser als "''rituel de la reconnaissance''", im Doppelsinn des französischen Wortes: der Wiedererkennung (''re-connaître'') und der Anerkennung (wie im Respekt), - eine Szene wie ein "''little theoretical theatre''" (Michel Pecheux).(4) Das ist zeitlich paradox: Ich muss etwas wieder-erkennen, um es allererst anzuerkennen. Die szenischen Formen sind der Anerkennung immanent, die Bühne (der Anrufung) ist der Anerkennung nicht äußerlich. | Ausgehend von Althussers "Ideologischen Staatsapparaten", die nicht mehr durch staatliche Organe wie die Polizei herrschen, sondern durch die Ideologie (3), die sich in Praktiken und Ritualen zeigt und sich hierin performativ durchsetzt, kommt Bedorf mit Blick aufs französische Original auf die Anerkennung als deren grundlegendes Element. Die berühmte Szene, in der der Polizist "He, Sie da" ruft und sich der/die Angerufene umdreht, sich in dieser Unterwerfung unter den Ruf allererst als Subjekt konstituiert, bezeichnet Althusser als "''rituel de la reconnaissance''", im Doppelsinn des französischen Wortes: der Wiedererkennung (''re-connaître'') und der Anerkennung (wie im Respekt), - eine Szene wie ein "''little theoretical theatre''" (Michel Pecheux).(4) Das ist zeitlich paradox: Ich muss etwas wieder-erkennen, um es allererst anzuerkennen. Die szenischen Formen sind der Anerkennung immanent, die Bühne (der Anrufung) ist der Anerkennung nicht äußerlich. | ||
− | Paul Ricoeur hat der Frage der Reconnaissance und dem Anerkennen, der Mehrdeutigkeit des Verbs | + | Paul Ricoeur hat der Frage der Reconnaissance und dem Anerkennen, der Mehrdeutigkeit des Verbs ''reconnaître'' ein ganzes Buch gewidmet.(5) Mit Sartre ließe sich zunächst noch sagen, "dass das Ich vom Anderen zum Objekt gemacht wird, insofern es wie ein Gegenstand wahrgenommen wird. (...) Man erfährt sich als Gegenstand der Sichtweisen Anderer und empfindet die eigene Objektheit." (6) (Dabei gilt: Man begegnet dem anderen, man konstituiert ihn nicht.) (7) Emmanuel Lévinas entwarf zudem den "absoluten Anderen", der nicht nur in Bezug auf den Sprecher, sondern in seiner Inkommensurabilität entworfen werden sollte (8): Wer den Anderen wahrnehme, könne sich nicht auf vertraute Rahmen beziehen, um den Anderen einzuordnen, sonst wäre er nicht mehr wirklich anders. Und: Ein Ich erfährt sich erst als von Anderen angerufenes. Diese Beziehung geht dem Ich, dem Du, dem Mich, dem Appell, der Anerkennung des anderen selbst voraus. (9) |
Zentral ist bei Levinas nicht der Appell, ''He Sie da!'', der Modus des Akustischen, sondern der Begriff des Antlitzes. "Im Angesicht des Anderen treten wir in eine Beziehung ein, ... die wir nicht wie einen Gegenstand zu begreifen oder beherrschen vermögen." (10) Das ist keine freiwillige Entscheidung, auch die Form der Beziehung ist nicht einfach wählbar. (11) Hier wäre weiterzudenken, welche Rolle der Blick und das Gesicht für diese Konzeption haben, was letztlich die Rolle der Visualität in der Epistemologie und auch der Ethik betrifft, die 'Objektivität' eines Anblicks, das Erkennen von etwas oder jemand, die Reziprozität im Sehen/Gesehenwerden: Sind diese Figuren wesentlich optisch verfasst? | Zentral ist bei Levinas nicht der Appell, ''He Sie da!'', der Modus des Akustischen, sondern der Begriff des Antlitzes. "Im Angesicht des Anderen treten wir in eine Beziehung ein, ... die wir nicht wie einen Gegenstand zu begreifen oder beherrschen vermögen." (10) Das ist keine freiwillige Entscheidung, auch die Form der Beziehung ist nicht einfach wählbar. (11) Hier wäre weiterzudenken, welche Rolle der Blick und das Gesicht für diese Konzeption haben, was letztlich die Rolle der Visualität in der Epistemologie und auch der Ethik betrifft, die 'Objektivität' eines Anblicks, das Erkennen von etwas oder jemand, die Reziprozität im Sehen/Gesehenwerden: Sind diese Figuren wesentlich optisch verfasst? | ||
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Hier wäre weiterzufragen, | Hier wäre weiterzufragen, | ||
− | 1. welche konkreten Praktiken mit Rancière als (neue) ''Aufteilungen des Sinnlichen'' auszudenken wären. Die "Aufteilungen des Sinnlichen" legen fest, was wir wahrnehmen, tun und sagen können und wofür wir blind oder taub sind. Nach innen hin regeln diese Formen, wie die wahrnehmbaren und sagbaren Gegenstände einer sinnlich aufgeteilten Welt voneinander unterschieden und wie Handlungen voneinander abgegrenzt und bewertet werden. Ranciere nennt solche Aufteilungen des Wahrnehmbaren auch erste oder ursprüngliche Ästhetik. Sie bestimmt, 'was der sinnlichen Erfahrung überhaupt gegeben ist. Die Unterteilung der Zeiten und Räume, des Sichtbaren und Unsichtbaren, der Rede und des Lärms geben zugleich den Ort und den Gegenstand der Politik als Form der Erfahrung vor.' So entsteht ein 'Rahmen der Sichtbarkeit und Intelligibilität, der Dinge oder Praktiken'; ein Rahmen, der aus den gleichermaßen produzierten wie ihrerseits produzierenden Agent/innen dieses Rahmens eine 'Gemeinschaft des Sinnlichen' macht." (23) | + | |
+ | 1. welche konkreten Praktiken mit Rancière als (neue) ''Aufteilungen des Sinnlichen'' auszudenken wären. Die "Aufteilungen des Sinnlichen" legen fest, was wir wahrnehmen, tun und sagen können und wofür wir blind oder taub sind. | ||
+ | Nach innen hin regeln diese Formen, wie die wahrnehmbaren und sagbaren Gegenstände einer sinnlich aufgeteilten Welt voneinander unterschieden und wie Handlungen voneinander abgegrenzt und bewertet werden. Ranciere nennt solche Aufteilungen des Wahrnehmbaren auch erste oder ursprüngliche Ästhetik. Sie bestimmt, 'was der sinnlichen Erfahrung überhaupt gegeben ist. Die Unterteilung der Zeiten und Räume, des Sichtbaren und Unsichtbaren, der Rede und des Lärms geben zugleich den Ort und den Gegenstand der Politik als Form der Erfahrung vor.' So entsteht ein 'Rahmen der Sichtbarkeit und Intelligibilität, der Dinge oder Praktiken'; ein Rahmen, der aus den gleichermaßen produzierten wie ihrerseits produzierenden Agent/innen dieses Rahmens eine 'Gemeinschaft des Sinnlichen' macht." (23) | ||
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2. welche Konzepte von Rahmungen und ihrer Zirkulation sind nötig, damit sich das Sicht-, Fühl- oder Hörbare zwischen Kontexten bewegen kann, auf die Straße gehen kann, im Klassenzimmer besprechbar wird, auf Bühnen transportierbar sei (und zwar nicht in dieser oder einer anderen Reihenfolge, vom Original zur künstlerischen Reproduktion oder wissenschaftlichen Reflexion, sondern zum besseren Verstehen dessen, dass alle drei wie auch die Kollegarbeit selbst den entsprechenden Abgründen der Anerkennung ausgesetzt sind). | 2. welche Konzepte von Rahmungen und ihrer Zirkulation sind nötig, damit sich das Sicht-, Fühl- oder Hörbare zwischen Kontexten bewegen kann, auf die Straße gehen kann, im Klassenzimmer besprechbar wird, auf Bühnen transportierbar sei (und zwar nicht in dieser oder einer anderen Reihenfolge, vom Original zur künstlerischen Reproduktion oder wissenschaftlichen Reflexion, sondern zum besseren Verstehen dessen, dass alle drei wie auch die Kollegarbeit selbst den entsprechenden Abgründen der Anerkennung ausgesetzt sind). | ||
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3. Drittens könnte es darum gehen, etwas bisher Unsagbares zu sagen, Neues herzustellen, etwa "Handlungen, Ereignisse und Subjekte, die eine Aufteilung des Sinnlichen herausfordern, indem sie etwas geltend machen, was in der adressierten Aufteilung des Sinnlichen nicht gesagt, getan oder wahrgenommen werden kann". (24) Mit einer anderen Vokabel, nochmals von Rancière: Das "Unvernehmen" zu praktizieren. Demonstrationen einer "dissensuellen Politik" vorzunehmen. Diese | 3. Drittens könnte es darum gehen, etwas bisher Unsagbares zu sagen, Neues herzustellen, etwa "Handlungen, Ereignisse und Subjekte, die eine Aufteilung des Sinnlichen herausfordern, indem sie etwas geltend machen, was in der adressierten Aufteilung des Sinnlichen nicht gesagt, getan oder wahrgenommen werden kann". (24) Mit einer anderen Vokabel, nochmals von Rancière: Das "Unvernehmen" zu praktizieren. Demonstrationen einer "dissensuellen Politik" vorzunehmen. Diese | ||
"behaupten - oder vielmehr: demonstrieren - ein Unvernehmen (''mésentene''); also etwas, das in der bestehenden politischen Einteilung nicht wahrgenommen, gedacht und mit den vorhandenen argumentativen Mitteln auch nicht eingefordert werden kann. Situationen des Unvernehmens bezeichnen keine Meinungsverschiedenheiten und auch keine Missverständnisse, bei denen man das Gegenüber darauf aufmerksam machen kann, dass man falsch verstanden wurde." (25) | "behaupten - oder vielmehr: demonstrieren - ein Unvernehmen (''mésentene''); also etwas, das in der bestehenden politischen Einteilung nicht wahrgenommen, gedacht und mit den vorhandenen argumentativen Mitteln auch nicht eingefordert werden kann. Situationen des Unvernehmens bezeichnen keine Meinungsverschiedenheiten und auch keine Missverständnisse, bei denen man das Gegenüber darauf aufmerksam machen kann, dass man falsch verstanden wurde." (25) |